Antirassistische Botschaft durch die entzückenden Kinder eines Franzosen. © Christian Husar/Bühne Baden.
South Pacific. Richard Rogers, Oscar Hammerstein.
Musical.
Bühne Baden.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 15 Februar 2025.
> Baden bei Wien: Bekannt durch sein Casino. Seine Weine. Seine Biedermeierarchitektur. Dazu UNESCO-Weltkulturerbe als "bedeutende Kurstadt Europas". Das neue Stadttheater wird 1909 in Anwesenheit von Erzherzog Rainer zum 60. Thronjubiläum von Kaiser Franz Josef I. eröffnet. Das glanzvolle Jugendstilhaus hat 816 Plätze. Gegenwärtig läuft dort Rodgers' und Hammersteins Musical "South Pacific". 13 Vorstellungen sind angesetzt. Sie generieren den Besuch von 10'608 Zuschauern. Eine staunenswerte Leistung: Baden hat nämlich nur 25'923 Einwohner. <
Die Provinzaufführung ist manchmal anständig, manchmal ungenügend, aber nie wirklich gut. Respekt jedoch zwingt die Tatsache ab, dass sie überhaupt stattfindet. Es ist an sich schon eine Leistung, einer Kleinstadt von 25'923 Einwohnern das ganze Jahr hindurch lebendige Kunst anzubieten und dafür eine Hundertschaft von Menschen zu beschäftigen, die zu Zeiten, wo andere die Freizeit geniessen, ihren Einsatz erbringen – auf der Bühne, in der Technik, in den Pausenräumen, in der Kasse und am Buffet.
Für Oper, Operette, Musical und Ballett beschäftigt die Bühne Baden ein Orchester von 25 Mitgliedern, einen Chor von 16 Sängern und ein Ballett von 11 Tänzern. Sie machen die Kurstadt zur Kulturstadt. Das Theater aber wird am Leben gehalten durch den Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen und "es" (das Werk, die Kunst) den Leuten zu zeigen. Wenn auch drüben in Wien, in halbstündiger Zugsdistanz, alles viel perfekter abläuft (die Orchester ungleich präziser spielen, die Künstler ungleich mehr Begabung zeigen) – der Einsatz der Thespiskinder mobilisiert die Kultursolidarität des Kritikers, und mit Überzeugung erklärt er: Lieber "South Pacific" als nichts!
In die Kulturgeschichte ist das Musical längst eingegangen. 1949 plädierte das Libretto von Oscar Hammerstein zum Abscheu der amerikanischen Südstaaten für gemischtrassige Liebesverhältnisse. Die schlimme woke Botschaft hinderte nicht, dass Richard Rogers als erster Komponist die vier amerikanischen Spitzenauszeichnungen für Theater, Film, Schallplatte und Fernsehen errang: Emmy, Grammy, Oscar und Tony, zusammengenommen EGOT.
Rogers war ein Geschwindschreiber. Der Sage nach entstand das Lied "Happy Talk" innert zwanzig Minuten, und "Bali Ha'i" am Kaffeetisch des Regisseurs innert zehn Minuten. Trotzdem ist die Musik gut. Sie hat Hit- und Ohrwurmqualität.
Dass das Musical einen antirassistischen und antikolonialistischen Kurs verfolgt, ist kein Zufall. Es entsteht nämlich ein Jahrzehnt nach dem "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" (Blutschutzgesetz). Der Komponist und der Librettist aber stammen aus jüdischen Familien. Sie haben Angehörige im KZ verloren ...
Im Schatten von "South Pacific" (10 Tony Awards, Pulitzer Prize for Drama) liegt das vergessene "Veilchen von Montmartre", uraufgeführt 1930 im Wiener Johann Strauss-Theater. Emmerich Kálmán, der Komponist, geboren als Imre Koppstein: Jude. Acht Jahre nach der Uraufführung in der Emigration. Die Librettisten Julius Brammer und Alfred Grünwald: Juden. Acht Jahre nach der Uraufführung in der Emigration. Der Kapellmeister Josef Holzer: Jude. Acht Jahre nach der Uraufführung in der Emigration. Der Regisseur Paul Guttmann: Jude. Acht Jahre nach der Uraufführung in der Emigration. Der Kritiker für die Wiener Zeitung "Der Tag", Fred Heller: Jude. Acht Jahre nach der Uraufführung in der Emigration.
Das ist die Konsequenz der antisemitischen Hetze: "Neun Zehntel alles literarischen Schmutzes, künstlerischen Kitsches und theatralischen Blödsinns gehen auf das Schuldkonto der Juden." (Adolf Hitler: Mein Kampf.) Und da stehen wir nun. Mit leeren Händen. Die Auslöschung des jüdischen Kulturelements hat sich nicht wiedergutmachen lassen.
Während aber in Alteuropa die Operette und die Juden erloschen, begann auf der anderen Seite des Atlantiks der Stern des Musicals aufzugehen, und aus der Hand von Juden wie Richard Rogers und Oscar Hammerstein entstand "South Pacific". Gegenwärtig läuft der Titel bei der Bühne Baden in 13 Vorstellungen vor 10'608 Zuschauern. Hut ab.
Strategische Positionen ...
... unter den Palmen ...
... am Südpazifik.