Manhattan Project. Stefano Massini.
Schauspiel.
Stefan Bachmann, Olaf Altmann, Bernd Purkrabek, Sven Kaiser. Burgtheater Wien.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 15. Februar 2025.
> An diesem Mittwochabend ist die Hälfte der Plätze im Wiener Akademietheater mit 15-Jährigen besetzt. Die Lehrer sind dem Bildungsauftrag nachgekommen, ihre Zöglinge zu konfrontieren mit der "anhaltenden ethischen Debatte über die Anwendung von Atomwaffen" und dem "Beginn des nuklearen Zeitalters" (Programmzettel). Doch der verordnete Theaterbesuch kommt bei vielen schlecht an. Drei Stunden im Finstern stillzusitzen und auf gesprochenes Wort zu achten, ist für sie langweilig. Sie beginnen zu tuscheln und die Handys hervorzuziehen. Einzelne verschwinden in der Pause. Die Boomer aber sitzen versunken da und stellen erschüttert fest, dass durch Putin und Trump manches im Begriff ist wiederzukommen. So beeinflusst der Kontext die Wirkung von Stefano Massinis "Manhattan Project". <
Das Bühnenbild von Olaf Altmann fokussiert die Handlung hauptsächlich auf die dreissig- bis vierzigjährigen ungarischen Emigranten jüdischer Herkunft. Die brillanten Köpfe sind vor den Faschisten nach Amerika ausgewichen. Ihre Namen: Leó Szilárd (1898–1964), Paul Erdős (1913–1996), Eugene Paul Wigner (1902–1995), Edward Teller (1908–2003), Lyman Briggs (1874–1963), Vannevar Bush (1890–1974). Dazu kommen der Finanzmann Alexander Sachs (1893–1973) und der Physiker Robert Oppenheimer (1904–1967). Sie tragen dazu bei, den Vereinigten Staaten die Kraft des Atoms zu erschliessen und durch den Abwurf von Bomben auf Hiroshima und Nagasaki den Zweiten Weltkrieg zu beenden.
Auf der Bühne erscheint ihre Figuration in einem Guckloch. Der Kreis steht für den Geheimbezirk der am "Manhattan Project" Beteiligten; er steht für die Tunnel der geheimen Versuchslabore; er steht für die Löcher der Raketenabschussrampen; er steht für die Null im Zahlensystem; und er steht für die Weltfremdheit der Akademiker.
Heute nennt man den Weg, der zur Bombe führte, "angewandte Forschung und Entwicklung". Im Gegenlicht (Bernd Purkrabek) gleichen die Wissenschafter zweidimensionalen Zeichen für mathematische Inhalte. Von vorne beleuchtet nehmen sie einen Körper an. So werden sie zur Kippfigur: Einerseits handelnder Mensch, anderseits Behandelter der Weltgeschichte.
Zwei Balken halten den Kreis stabil. Sie bilden je nach Position ein + oder X. Beide Zeichen spielen in den exakten Wissenschaften eine Rolle. Dazu aber steht X auch für die Zeit, gemäss der alten rabbinischen Weisheit, die der Verfasser Stefano Massini zitiert: Beim X liegt die Gegenwart im Schnittpunkt der Winkel. Von unten läuft die Vergangenheit durch den "Point of now" nach oben in die Zukunft. – Mit derlei Symbolik fasst das Bühnenbild den Inhalt der gesamten dreistündigen Aufführung zusammen und schafft aussagestarke Minimal Art.
Von gleicher Klugheit erweist sich die Führung der Darsteller durch Stefan Bachmann und die Komposition der Musik durch Sven Kaiser. Wenn es im Stück um Konstruktionen von Naturwissenschaft und Technik, Konfrontation von politischen und weltanschaulichen Positionen geht – so antwortet die Inszenierung darauf mit fliessenden, organischen Verläufen. Damit stellt das Theater die Geschichte ästhetisch ins Lot.
Thiemo Strutzenberger, Felix Resch, Max Simonischek, Justus Maier, Markus Meyer, Jonas Hackmann und Michael Wächter bilden ein fein austariertes Ensemble, bei dem sich individuelle Charakterisierung und souveränes Zusammenspiel die Hand reichen. Die Sprachgestaltung ist einwandfrei. Burgtheater vom feinsten.
Übers Ganze gesehen formt "Manhattan Project" mit beinahe schon untergegangener Sensibilität den Gegenpol zu den Verbrechen der Vergangenheit, dem Irrsinn der Gegenwart und den düsteren Vorzeichen der Zukunft. Den Schülern aber gehört ins Stammbuch: "Stehe auf, Balak, und höre! Nimm zu Ohren, was ich sage, du Sohn Zippors!" (4. Mose, 23, 18)
Für den Bau ...
... von Atombomben ...
... in den Bunker.