Holzfällen. Thomas Bernhard.
Musikalische Rezitation.
Nicholas Ofczarek, Musikbanda Franui. Burgtheater Wien.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 15. Februar 2025.
> Die Erscheinung von Thomas Bernhards "Holzfällen" am 24. August 1984 erregte einen Skandal. In Österreich wurde das Buch – zu recht – als Schlüsselroman gelesen und beschlagnahmt. Der Suhrkamp Verlag zahlte 55'000 DM für eine aussergerichtliche Einigung mit den Klägern. Heute ist der Roman ein Klassiker. Sein Vortrag durch den Schauspieler Nicholas Ofczarek und die Musikbanda Franui führt zu ausverkauften Sälen im Burgtheater Wien, den Salzkammergut Festwochen Gmunden, dem Schauspiel Stuttgart, dem Schauspielhaus Bochum, dem Berliner Ensemble, dem Musiktheater Linz und den Tiroler Festspielen Erl. Ja, so geht's. "Immer dachte ich: Nur kein Skandal! Dabei weiss ich heute, dass ein handfester Skandal, gepaart mit Können, der Karriere hilft." (Vilmos Désy, seinerzeit Direktor des Privattheaters beim Auersperg, Wien.) <
Für das in Frankreich ausgesprochen beliebte Format "seul en scène" wählen Nicholas Ofczarek und die Musikbanda Franui einen ungewohnten, ja im Grund schon widerständigen Ansatz. Üblicherweise bewegt sich der Schauspieler. Er misst die Bühne in allen Dimensionen aus. Seine Gänge und Stellungen strukturieren den Vortrag. Und durch den Wechsel von Requisiten und Kostümen schafft er die Verwandlung von Figuren und Szenen.
Nicht so bei "Holzfällen". Während der ganzen Vorstellung sitzt der Rezitator fest auf einem Hocker. Vor ihm steht ein Notenständer. Eine dicke Brille bedeckt die Augen. Die Hände kommen nur in Bewegung, um mit einer Wasserflasche die Sprechwerkzeuge zu befeuchten, nicht aber, um dem Gesagten Ausdruck zu geben. Das Kommentieren bleibt der Musikbanda Franui überlassen.
Ihre zehn Mitglieder, auf der Vorderbühne um Ofczarek grupiert, spielen eine Collage mit Motiven von Paul Abraham, Béla Bartók, Johannes Brahms, Anton Bruckner, John Cage, Franz Lehar, Henry Purcell, Robert Schumann, Anton Webern und andern. Die bläserlastige Spielweise evoziert den Klang von Dorfkapellen und schafft damit eine Verbindung zur ländlichen Umgebung, wo das Holz zu Fall kommt, wie der Titel des Romans angibt. So wird in grossen Bögen gedacht.
Das Publikum bemerkt die weitausgreifende Konstruktion an der Zunahme der Intensität. Bis zur Pause wartet Thomas Bernhards Erzählfigur in einem Ohrensessel auf den Eintritt eines Burgschauspielers zu einem "künstlerischen Nachtessen" des Ehepaars Auersberger in der Gentzgasse. Den Bewusstseinsstrom des reflektierenden und kommentierenden Schriftstellers spiegelt die rhythmisch bewegte Prosa mit ihren refrainartigen Wiederholungen und absolutistischen Partikeln "nie" und "immer" (nie gemocht/immer gehasst).
Nach der Pause kommt es zur Schilderung des Nachtmahls: Von der Erdäpfelsuppe über den Fogosch bis zum Kaffee; schliesslich zur Verabschiedung der Gäste und dem Gang des Erzählers durch die leere Stadt. Währenddem sitzt Nicholas Ofczarek weiterhin unbeweglich auf seinem Hocker. Aber in den Ausdruck seiner Stimme haben sich die Figuren gemischt, und dabei sind die Sphären verschmolzen: Die paar Stunden der halbfiktiven Abendgesellschaft, die zeitentbundene Prosa der Figurenrede, die Epochen der zitierten musikalischen Motive und die Gegenwart der ausführenden Künstler im Raum des Burgtheaters mit der Gegenwart des Publikums.
Auf diese Weise wird die Aufführung – gerade durch ihre widerständige Mehrschichtigkeit – zur prägenden Erfahrung im Sinne Bernhards:
Wenn wir unser Ziel erreichen wollen
müssen wir immer in die entgegengesetzte Richtung
Immer grössere Einsamkeit
immer grösseres Unverständnis
immer grösseres Missverständnis
immer tiefere Ablehnung
Aber wir gehen diesen Weg
keinen andern
diesen einzigen Weg
bis wir tot sind
Über "Holzfällen" berichtete die Tochter des Wirtepaars Hawelka letzten Sommer dem Journalisten Andreas Bernard:
"Unter der Uhr, vis-à-vis von der Tür, ist immer ein sehr intelligenter Mann von der Staatsoper gesessen, ein musikalisches Genie praktisch, der aber mit einer reichen Frau verheiratet war und deshalb nicht mehr so viel gemacht hat." Herta Hawelka spricht von Gerhard und Maja Lampersberg, den Vorbildern des Ehepaars Auersberger in Thomas Bernhards 1984 erschienenem Skandalbuch "Holzfällen". "Der Bernhard, der ist da auch mit dabei gewesen. Damals war er noch gar nichts, ein armer Schlucker. Er wurde von dem Ehepaar immer eingeladen bei uns im Café und auch in den Urlaub, nach Kärnten. Die Frau hat da ein grosses Landgut gehabt. Viele, viele Jahre später kam dann das Buch heraus."
Herta Hawelka hat sich jetzt erhoben und geht vor zu dem Tisch unter der grossen Uhr an den Ort des Geschehens. "Der Bernhard war ja immer sehr negativ. Ich blättere in dem Buch, und dann sage ich zu meiner Mutter: Mama, schau mal, das musst du lesen, das sind doch unsere alten Gäste. Na, mehr hat sie nicht gebraucht. 'So was', hat meine Mutter am nächsten Tag gesagt, 'da lässt er sich einladen, die zahlen alles, und dann schreibt er so böse über diese Leut'.' Sie hat sich so aufgeregt. Mir hat es fast leidgetan, dass ich ihr das Buch geliehen habe." Gerhard und Maja Lampersberg sind damals gegen "Holzfällen" vor Gericht gezogen. Die aktuelle Auflage musste aus den Buchhandlungen entfernt werden. Später zog das Ehepaar die Klage gegen eine Schadenersatzzahlung zurück.
Heute ist "Holzfällen" ein Klassiker. Er bringt volle Säle in Wien, Stuttgart, Bochum, Berlin, Linz, Gmunden und Erl. Vilmos Désy hatte recht: "Ein handfester Skandal, gepaart mit Können, hilft der Karriere."
Wir gehen diesen Weg ...
... keinen andern ...
... bis wir tot sind.