Die Welt ist irgendwie krank. © Tommy Hetzel.

 
 

 

TOTO oder Vielen Dank für das Leben. Sibylle Berg.

Schauspiel nach dem gleichnamigen Roman.

Beni Brachtel, Ersan Mondtag. Burgtheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 15. Februar 2025.

 

> Einen Monat nach den Nationalratswahlen, an denen die sog. Freiheitliche Partei Österreichs FPÖ unter ihrem Obmann Herbert Kickl die meisten Stimmen erhielt, brachte das Burgtheater Wien unter seinem neuen Intendanten, dem Schweizer Stefan Bachmann, als sog. Brandmauer gegen rechts die Schauspielfassung von Sybille Bergs Roman "Vielen Dank für das Leben" unter Regie und Bühnenbild von Ersan Mondtag zur Uraufführung. Seitdem ist der Besuch von "TOTO" (und erst recht das Applausverhalten des Publikums) eine Gesinnungsdemonstration. "Aushalten!" ist die Parole. Langeweile gilt es zu unterdrücken. Und: "Die Aufführung gut finden!" Sonst gehört man nicht zur rechten, d.h. linken Familie, und die Welt wird noch schlimmer. <

 

Vom Zuschauerraum aus geht der Blick auf ein Karussell namens Drehbühne. Ohne Hast bewegt es sich im Gegenuhrzeigersinn drei Stunden lang im Stop-and-go-Modus. Ab und zu kreuzen Personen mit vierrädrigen Elektrofahrzeugen auf und sprechen entweder Dialoge zueinander oder narrative Passagen zum Publikum, um ihm die Orientierung in Zeit und Ort zu ermöglichen. Veränderungen des Lichts und der Neonbuchstaben, die mal KLINIK, mal KINK anzeigen, schaffen Abwechslung. Daneben gibt es Wind-, Gewitter-, Strassen- und Vogelgeräusche sowie die Töne einer Partitur für symphonisch besetztes Live-Orchester, verfasst und dirigiert von Beni Brachtel. So viel zur Inszenierung von Ersan Mondtag.

 

Für die Bühne des Burgtheaters hat Sibylle Berg ihren Roman "Vielen Dank für das Leben" umgeschrieben. Unter dem Titel "TOTO" erzählt sie den Lebenslauf eines Menschen von der Geburt bis zum Tod. 1966 kommt Toto in der DDR zur Welt. Um 2010 stirbt er/sie/es in der BRD. Zu seinem/ihrem Unglück ist er/sie/es geschlechtslose Waise. Behördlich wird Toto zum Mann erklärt, später operativ zur Frau umgewandelt. Das ergibt einen Durchlauf durch die neuere Zeitgeschichte am Faden von Gender, Unterdrückung durch den Staat und seine Institutionen, Gewalt durch Gruppen und einzelne, Globalisierung und Gentrifizierung durch den Kapitalismus. Klappentext: "Toto wandelt durch die DDR, als ob es alles noch gäbe: Güte, Unschuld, Liebe. Warum, fragt er sich, machen die Menschen dieses Leben noch schrecklicher, als es schon ist? Toto geht in den Westen, wo der Kapitalismus zerstört, was der Sozialismus verrotten liess."

 

Im Zentrum steht das Opfer: Grundgütig, aber beschränkt. Arbeitswillig, aber ausgenützt. Liebesbedürftig, aber einsam. Toto ist ein Nachfahre des legendären Leipziger Barbiergehilfen: "Woyzeck ist der Mensch, auf dem alle rumtrampeln" (Alfred Kerr). Mit "TOTO" leistet die Bühne des Burgtheaters im Sinn der EU-Abgeordneten Sibylle Berg ihren Beitrag, um "Armut und Diskriminierung zu bekämpfen. Und ihre Vision eines neuen Gesellschaftssystems nach der friedlichen Abschaffung des Kapitalismus zu erläutern." Puäh. Gut gemeint ist das Gegenteil von Kunst. Aber der Zweck heiligt die Mittel. Fazit: Langeweile gilt es zu unterdrücken und beim Applaudieren zu jubeln. Sonst gehört man nicht zur rechten, d.h. linken Familie, und die Welt wird noch schlimmer.

Im Kapitalismus ... 

... ist alles ... 

... schamlose Pose. 

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