Vor einem 101-jährigen Vorhang: ein 197-jähriges Stück. © Moritz Schell.

 
 

 

Der Alpenkönig und der Menschenfeind. Ferdinand Raimund.

Romantisch-komisches Original-Zauberspiel.

Josef E.Köpplinger, Walter Vogelweider. Theater in der Josefstadt, Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 15. Februar 2025.

 

> Vor 197 Jahren, genau: am 17. Oktober 1828, kam "Der Alpenkönig und der Menschenfeind" im Leopoldstädter Theater Wien zur Uraufführung. Ferdinand Raimund, der Direktor des Hauses und zugleich Autor des Stücks, spielte die Hauptrolle: Herr von Rappelkopf, ein reicher Gutsbesitzer (und daneben ein aufbrausender Menschenfeind). Während heute im Josefstädter Theater das Vorspiel der 197-jährigen Originalmusik von Wenzel Müller erklingt, erscheint auf dem 101 Jahre alten Vorhang die Projektion von Raimunds Stückbezeichnung: "Romantisch-komisches Original-Zauberspiel". Mit diesem Auftakt umschreibt Josef E. Köpplinger seinen Regieansatz: Respektvoll und möglichst nah am Stück. Und siehe da: Trotz weitgehendem Verzicht auf Aktualisierung geht uns das Original-Zauberspiel unter die Haut. <

 

Die Komödie handelt von Heilung durch Selbsterkenntnis – hundert Jahre vor Freud. Herr von Rappelkopf leidet an Verfolgungswahn. Er glaubt, alle Welt wolle ihn um sein Kostbarstes bestehlen: erstens um sein Kapital, das er unvorsichtigerweise einem italienischen Bankhaus anvertraut hat (= Klumpenrisiko), und zweitens um seine geliebte Tochter, die sich einem jungen Maler (= Hungerleider) in die Arme geworfen hat. Die Verlustangst weckt Misstrauen. Das Misstrauen mobilisiert Aggression. Und die Aggression wendet sich gegen die Menschen der Umgebung.

 

Die Heilung geschieht durch Zauberei. Der Alpenkönig versetzt Rappelkopf in den Körper eines nahen Verwandten und übernimmt selber die Rolle des Menschenfeinds. Nun sieht sich der Patient von aussen; er erkennt, wie sein Verhalten auf die andern wirkt; er vernimmt, was sie in seiner Abwesenheit über ihn sagen. Die Erkenntnis:

 

Ich bin ja ein rasender Mensch. Ich fang mir ordentlich an selbst zuwider zu werden. Das hätt ich in meinem Leben nicht gedacht.

 

"Spiegelung" nennt die Psychologie die Methode, die Rappelkopf heilt. Und als Spiegel legt Walter Vogelweider das Bühnenbild an. Immer wieder wirft es die Ansicht des Zuschauerraums von der Bühne zurück in den Saal und sagt: "Tua res agitur." Das alte Stück handelt von dir. Schau dich nur selber an! Auf diese Weise versetzt "Der Alpenkönig" nicht nur Rappelkopf in Bewegung, sondern auch den Zuschauer. In der Enge des Weltverständnisses, in der Voreingenommenheit, in der Wut, in der Selbstgerechtigkeit, in der Heftigkeit der Gebärden erkennt er seine schlechten Seiten wieder.

 

Die Hauptfiguren sind hervorragend. In Michael Dangls Interpretation hat der Menschenfeind eine rührend kindliche Ausstrahlung. Man kann ihm nicht böse sein, weil er selber nicht böse ist, sondern nur naiv (was ihn einem trotzigen Kind gleichsetzt). "Blind" ist das Wort, das dafür im Stück fällt. Der Wüterich soll aber sehend werden. Deshalb ist, wie in der "Zauberflöte", Erkenntnis das Ziel des romantisch-komischen Original-Zauberspiels.

 

Als Alpenkönig zeichnet Günter Franzmeier das Verhalten Rappelkopfs mit geschärftem Profil. In seinem Spiegel bekommt die Deutlichkeit der Einzelzüge einen gespenstischen Einschlag, wie es dem Monarchen der Geisterwelt ansteht.

 

Glaubwürdig, stark und aus einem Guss sind die Ehefrau (Sophie Krismer) und die Tochter (Johanna Mahaffy). Die 26 weiteren Rollen sind teils im Gesang, teils in der Aussprache, teils im Umriss nicht immer deutlich getroffen. Gütesiegel ist die beinah ausgestorbene Kunst des Beiseite-Sprechens; der Hauptrollenträger Michael Dangl beherrscht sie. Das ist mehr als die halbe Miete.

 

Schlussgesang

Erkenntnis, du lieblich erstrahlender Stern,

Dich suchet nicht jeder, dich wünscht mancher fern.

Zum Beispiel die Leute, die uns oft betrügn,

Die wolln nicht erkannt sein, sonst würden s' nicht lügn.

 

Ja, lieber Ferdinand, die zeitgeschichtlichen Verhältnisse wollen's, dass uns dein romantisch-komisches Original-Zauberspiel trotz weitgehendem Verzicht auf Aktualisierung immer noch unter die Haut geht.

Im Spiegel der Selbsterkenntnis ... 

... begreift der Menschenfeind ... 

... was er bei den andern anrichtet. 

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