Maria Stuart. Stephan Teuwissen.
Trauerspiel nach Friedrich Schiller.
Mélanie Huber, Lena Hiebel. Theater Orchester Biel Solothurn.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 19. Januar 2025.
> Das Positive vorweg: Das Licht war gut. Und der Applaus fiel überraschend lang und freundlich aus. Vielleicht dem Umstand zu verdanken, dass es dem Theater gelungen war, vier Klassen der Steiner Schule an die Premiere zu bringen. Die jungen Leute sagten nach der Vorstellung, einzelne Momente hätten sie beeindruckt. Doch hätten sie nicht alles verstanden. Vielleicht aus Mangel an Bildung (fügten sie entschuldigend bei). Der Kritiker gestand, es sei ihm gleich ergangen. Daraufhin waren sie erleichtert und führten aus, manchmal sei ihnen das Aufpassen schwergefallen. "Mir auch", erklärte der Kritiker: "Es wäre besser gewesen, wenn uns die Aufführung gepackt und mitgerissen hätte ... " Doch dem stand entgegen, dass das "Trauerspiel nach Friedrich Schiller" auf der Bühne als halbszenisches Oratorium daherkam. Also langweilig. Einzelne Arien waren ganz anständig, andere fielen flach. Aber weil der Inszenierung ein überzeugender Zentralgedanke fehlte, tappte Alt und Jung zweieinhalb Stunden im Finstern und murmelte vor sich hin: "So what?" <
Das Einheitsbühnenbild von Lena Hiebel macht es schwer, sich zu orientieren: Wo sind wir? In einem konkursiten Hemdengeschäft? Oder in einem Laden, der noch eingeräumt werden muss? Jedenfalls sieht die Rückwand nach leeren Regalen aus. Irritierend, dass vor der Pause ein Paneel entfernt wird und nach der Pause alle Paneele fehlen. Will die Gitterstruktur an ein Gefängnis erinnern? Bei Schiller heisst es: "Im Schloss zu Fotheringhay. – Ein Zimmer." In Biel/Solothurn aber steht auf der rechten Seite eine Rampe. Sie erinnert an die Zuschauerränge in einem Hörsaal oder Zirkus. Erst als Maria Stuart nach der Pause das Gerüst besteigt, wird klar: Aha, das Schafott!
Das Bühnenbild ist also zeitübergreifend. Es drückt aus, dass "die Entscheidung über Marias Tod von Anfang an gefallen ist, doch nährt der Gang der Handlung fortlaufend die Illusion ihrer Rettung" (Gert Sautermeister). Am 18. Juni 1799 schrieb Schiller in einem Brief an Goethe:
Ich fange jetzt schon an, bei der Ausführung mich von der eigentlich tragischen Qualität meines Stoffes immer mehr zu überzeugen, und darunter gehört besonders, dass man die Katastrophe gleich in den ersten Szenen sieht, und, indem die Handlung des Stückes sich davon wegzubewegen scheint, ihr immer näher und näher geführt wird.
Meine Maria wird keine weiche Stimmung erregen, es ist meine Absicht nicht, ich will sie immer als ein physisches Wesen halten, und das Pathetische muss mehr eine allgemeine tiefe Rührung als ein persönliches und individuelles Mitgefühl sein. Sie empfindet und erregt keine Zärtlichkeit, ihr Schicksal ist, nur heftige Passionen zu erfahren und zu entzünden. Bloss die Amme fühlt Zärtlichkeit für sie.
Doch will ich lieber tun und ausführen, als Ihnen viel davon vorsagen, was ich tun will.
Die gegenläufigen dramaturgischen Tendenzen steigert Mélanie Huber in ihrer Inszenierung durch Verschachtelung der Zeitebenen.
Ebene 1: Die Gegenwart eines alten, verarmten Mannes. Er blickt zurück. In seiner Jugend war er Page am Hof von Königin Elisabeth. Ohne es zu wollen, wurde er in die Intrigen gegen die schottische Königin Maria Stuart verstrickt und Werkzeug ihrer Vernichtung. Seither hat er Blut an den Händen. Jetzt, Jahrzehnte später, murmelt der Graubärtige unablässig: "Scham und Schande."
Ebene 2: Die Zeit von Schillers Handlung. Ihre Szenen ziehen als Erinnerungen im Kopf des Alten vorbei. Sie haben sich abgelöst vom strikt kausalen Zusammenhang und tragen zitathaften, fragmentarischen Charakter. Das erklärt die Verschachtelung des Einheitsbühnenbilds: In der Erinnerung ist alles gleichzeitig da, das Schafott und Marias Zimmer. Ihr wurde alles weggenommen. Hinter den Wänden wurde nach versteckten Schätzen und Dokumenten gesucht. Jetzt erinnern die leeren Gestelle an ein Skelett.
"Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten", schrieb Goethe, als er die Arbeit an "Faust" wiederaufnahm. Und in der Erinnerung des alten Mannes bei TOBS! verwirklicht sich das Schwanken als Ineinanderfliessen. Er ist der Erzähler, der das Geschehene übermittelt; er ist der junge Page, der von seinem Auftrag überfordert ist, deshalb den Dingen ihren Lauf lässt und sich schliesslich durch seine Passivität am Unrecht mitschuldig macht; und schliesslich ist er der Scharfmacher, der Marias Todesurteil zur Vollstreckung bringt.
Fritz Fenne verkörpert die Gestalt des einsamen Alten, des jungen Naiven und des energischen Schafmachers auf eindrückliche Weise. Die Makellosigkeit seiner Diktion lässt aufhorchen. Engagiert zeichnet er die Situationen nach, in die ihn Handlung und Schicksal werfen.
Das Ineinanderfliessen der "schwankenden Gestalten" führt dazu, dass auch Anna Blumer, Fabian Müller und Miriam Japp verschiedene Rollen versehen, so wie im Traum Menschen ineinanderfliessen. Auf der Bühne wechseln jetzt zwar die Kostüme, aber auf Verwandlung ist das Spiel der Darsteller nicht angelegt.
Das gute Gesicht von Miriam Japp zeigt sich sowohl beim römischen Kardinal, bei dem französischen Gesandten wie beim zweideutigen Lester. Einwandfrei gesprochen, ist ihr Spiel eher herbeizitiert als ausfüllt. Anna Blumer dagegen wird sich noch steigern, wenn sie die Konsonanten schärft und den Ton nach unten nimmt. Fabian Müller schliesslich wird die Stimme noch kontrollieren lernen, damit sie sich in der Emphase nicht verengt. Auch wird er das Sprechtempo in den dramatischen Stellen nicht weiter anziehen, damit die Gefahr des Verhaspelns gebannt wird.
Höhepunkt des Dramas ist die Begegnung der beiden Königinnen vor der Pause (in der Fassung Theuwissen wohl um zwei Drittel gekürzt). Bei Schiller bringt die Szene einen raffinierten Parcours zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Erhofftem und Befürchtetem, Gefühltem und Unterdrücktem. Nach anfänglichem Abtasten führt das Drama zuerst nach oben, dann steil nach unten.
Diesen Verlauf haben Katrin Veith als Maria und Lina Hoppe als Elisabeth nur schwach erkennen lassen. Der Mangel an Gestaltung, den weitere Proben vielleicht abschwächen könnten, ist aber in der Hauptsache einem unerklärlichen Missgriff bei der Besetzung zuzuschreiben. Würden die beiden Schauspielerinnen die Rollen tauschen, dann wären sowohl Maria wie Elisabeth deckend besetzt. Jetzt aber kommt das gut Gedachte und gut Gemeinte nur ansatzweise über die Rampe.
Die Kostüme lassen ...
... die Figuren ...
... ineinanderfliessen.