Le Firmament. Lucy Kirkwood.
Schauspiel.
Chloé Dabert, Pierre Nouvel, Marie La Rocca, Nicolas Marie. Théâtre du Rond-Point, Paris.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 14. Januar 2025.
> Wieder ein Geschworenenstück. In "The Welkin" (Das Himmelsgewölbe) von Lucy Kirkwood geht es wieder einmal darum, wer was wann in einem abgeschlossenen Raum sagt oder tut, um das Drama zum Abschluss zu bringen. Diesmal handelt es sich um das Todesurteil an einer Frau. Die zwölf Geschworenen sind ebenfalls Frauen. Aber wie sich im Lauf von 2 Stunden 40 Minuten zeigt, benehmen sich die Frauen nicht wesentlich anders als Männer. Und vor allem: nicht humaner. <
Dass die zwölf Geschworenen der sog. Matronenjury (jury of matrons) von Hass, Lüge, Starrsinn und Voreingenommenheit angetrieben werden, wohingegen unverstellte Wahrnehmung, Nachdenklichkeit, Differenzierungsvermögen und Empathie rare Artikel sind, liegt, Lucy Kirkwoods Stückkonzept zufolge, an den zeitgeschichtlichen Umständen.
De Handlung ist in einem englischen Provinznest des Jahres 1759 angesiedelt. Da herrschen Härte, Dummheit, Aberglaube. Die Menschen arbeiten im Schweiss ihres Angesichts ums täglich' Brot. Sie leben in Verhältnissen, wie sie Georg Büchner im "Hessischen Landboten" beschrieben hat:
Es sieht aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker am 5ten Tage, und die Fürsten und Vornehmen am 6ten gemacht, und als hätte der Herr zu diesen gesagt: Herrschet über alles Getier, das auf Erden kriecht, und hätte die Bauern und Bürger zum Gewürm gezählt. Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag, sie wohnen in schönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Gesichter und reden eine eigne Sprache; das Volk aber liegt vor ihnen wie Dünger auf dem Acker. Der Bauer geht hinter dem Pflug und treibt ihn mit den Ochsen am Pflug, er nimmt das Korn und lässt ihm die Stoppeln. Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag; Fremde verzehren seine Äcker vor seinen Augen, sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiss ist das Salz auf dem Tische des Vornehmen.
Die unheilige Dreifaltigkeit von Feudalismus, Kapitalismus und Patriarchat spaltet die Gesellschaft in Obere und Untere, Bevorzugte und Benachteiligte, Ausbeuter und Ausgebeutete. "Ich bin geboren in der Gemeinde Unverstand, in einem Jahre, welches man nicht zählte nach Christus", schrieb Jeremias Gotthelf im "Bauernspiegel". Die Verurteilte und die zwölf Frauen, welche die Matronenjury bilden, leben in einer solchen Welt.
Regisseurin Chloé Dabert indes zeigt sie in supercleanen Hochglanzabbildungen. Und mit dieser Darstellungsweise begeht sie Verrat an der Vorlage. Wie in einem Vermeer-Interieur erscheinen die Figuren malerisch im Raum. Die sauberen Kostüme (Marie La Rocca) kommen aus dem Trachtenmuseum. Das Licht (Nicolas Marie) schafft eine pastellfarbene Atmosphäre, aus der bloss das Gekreisch der zankenden Matronen grell hervorsticht. Zwischendurch wirft Bühnenbildner Pierre Nouvel geleckte Filmeinsprengsel auf eine bühnengrosse Leinwand, und das Pressedossier nennt diesen aufgedonnerten Stil "version magnifiée".
Von den dreizehn Schauspielerinnen (zwölf Geschworene, eine Verurteilte) können nur sechs einwandfrei sprechen; darunter die Beschuldigte (Andréa El Azan) und die Doyenne (aus einer Generation, wo Diktion noch geschätzt wurde). Das Pressedossier nennt das "une distribution féminine hors pair". Mit dieser Vollmundigkeit bestätigt die Produktion im Théâtre du Rond-Point die Erwartung, die sich in Publikum und Kritik einstellt, wenn das Stück einer britischen Erfolgsschriftstellerin (auteure britannique à succès) angekündigt wird. In Wirklichkeit aber liegen ganze Lichtjahre zwischen Lucy Kirkwoods kolportagehaftem "Himmelsgewölbe" und Heinrich von Kleists abgründiger Gerichtssaalkomödie mit Adam und Evchen im "Zerbrochenen Krug".
Malerische Gruppierung ...
... mit Verurteilter ...
... vor Matronengericht.