Drinnen. Matthias van den Höfel.
Schauspiel.
Marion Hélène Weber, Julia Bahn. Münchner Kammerspiele. Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 1. Dezember 2024.
> David, die 35-jährige Hauptfigur, spricht nicht. Auch die andern Personen sind stumm, obwohl sie reden. "Wir strecken vergebens die Hände nacheinander aus", schrieb Georg Büchner. In Matthias van den Höfels "Drinnen" streckt aber keiner die Hand nach dem andern aus. Die Menschen leben bloss nebeneinander hin. Und wenn sie Wörter gebrauchen, benützen sie die Sprache zur Täuschung, zur Lüge und zur Möblierung der Stille. <
Weil David nicht spricht, lässt ihn Regisseurin Marion Hélène Weber gleich weg. Damit bleibt er zwar anwesend, doch ungreifbar. Der Zuschauer kann seine Befindlichkeit lediglich aus den Äusserungen der andern erschliessen: Mutter, Pfleger, Partner. Sie halten den Invaliden am Leben, sind aber gleichfalls behindert, weil in sich selbst eingeschlossen. Demzufolge ist "Drinnen", der Titel, paradigmatisch: Die Menschen kommen nicht zueinander.
In den Dialogen spiegelt sich die Lage: Nur Floskeln. Kein echtes Wort. Immer klarer wird erkennbar, wie einsam die Mutter geworden ist, nachdem sie ihr Leben in den Dienst des behinderten Sohnes gestellt hat. Annette Paulmann zeichnet berührend lebensecht nach, wie eine durchschnittliche Person an der Überforderung zugrundgeht, für die andern das Beste zu wollen: "David kommt nicht in eine Einrichtung!"
Symbol für die Überforderung ist das Puzzle, das auf dem Wohnzimmertisch liegt (Bühne Julia Bahn). Die Menschen fingern wohl an seinen Einzelteilen herum, schaffen es aber nicht, das Ganze zusammenzusetzen. Am Schluss fliegt die Gemeinschaft auseinander: Der Sohn kommt in ein Heim. Die Praktikantin nimmt ein Studium auf. Der Pfleger wechselt den Beruf. Der Partner entweicht nach Peru. Die Mutter spricht von Irland (oder Irr-Land?). Nicht schön. "Die Tätigen rollen, wie der Stein rollt, gemäss der Dummheit der Mechanik." (Nietzsche)
Für "Drinnen" wurde Matthias van den Höfel 2023 mit dem Münchner Förderpreis für neue Dramatik ausgezeichnet. Damit verbunden war die Uraufführung an den Münchner Kammerspielen. Marion Hélène Weber, Regieassistentin der Kammerspiele und Absolventin des Mozarteums Salzburg, übernahm die Inszenierung als Abschluss ihrer Regieausbildung.
Sensibel und diskret verfolgt die Produktion den brüchigen Weg, der ins Bodenlose führt. Die Männerrollen sind mit Sebastian Brandes und Martin Weigel erstklassig besetzt. Die Praktikantin wird von Luisa Wöllisch versehen. Die gutwillige Darstellerin ist gezeichnet von Trisomie. Die Künstlichkeit ihres Spiels macht ablesbar, dass es sich bei der Natürlichkeit der professionellen Akteure um Kunst handelt. Gleichzeitig wird der Ausschluss des behinderten David aus der Inszenierung durch Inklusion beantwortet. Das ergibt eine zarte, schöne Aufführung.
Praktikantin und Pfleger.
Sohn und Mutter.
Ende.