Spiegelung der Spiegelung. © Birgit Hupfeld.

 
 

Anne-Marie die Schönheit. Yasmina Reza.

Monolog.

Nora Schlocker, Lisa Käppler, Markus Schadel. Residenztheater München.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 1. Dezember 2024.

 

> Die Inszenierung ist ein Jahr alt. Und noch immer gelingt es dem Schauspieler Robert Dölle, das Münchner Residenztheater zu füllen. Er trägt eine weisse Perücke und spielt eine alte Frau, die mit Mühe geht. Ihr Leben ist vorbei. Es ist, wie die Heilige Schrift sagt, nichts als Mühsal und Arbeit gewesen. Der Monolog schildert die Banalität, in der alle schwimmen, die zum unteren Mittelmass gehören – also wir. Auf das heranrückende Alter antwortet Robert Dölles Wiedergabe von Anne-Marie mit grandioser Haltung. Sie ist am Untergehen. Doch unterkriegen lässt sie sich nicht. <

 

Robert Dölle trägt ein Bilanzstück vor. Es bewegt sich zwischen Theater und Leben, Literatur und Alltag. "Anne-Marie die Schönheit" breitet in monologischen Schlaufen das Vergangene und Gegenwärtige einer unscheinbaren Existenz aus. Dem Zwischending entspricht, dass die alte Frau mit einem Mann besetzt ist. Die Entscheidung geht auf Yasmina Reza, die Autorin, zurück: "Aus Gründen der Distanz und Allgemeingültigkeit wünsche ich, dass diese Figur von einem Mann interpretiert wird."

 

Im zartem Spiel der Beleuchtung von Markus Schadel stellen Regisseurin Nora Schlocker und Bühnenbildnerin Lisa Käppler eine auratisch fragmentierte Dekoration auf die Vorderbühne. Sie zeigt eine Kulisse, die nichts als Kulisse ist, genauer: Kulissenrückseite. Damit vollzieht das Spiel jene Spiegelungen nach, die das abgründige Stück aufbaut.

 

Anne-Marie träumte davon, zum Theater zu kommen, seit sie als Mädchen einer Kleinstadt den Provinzschauspielern begegnet war, die sonntags mit Grandezza über den Platz spazierten. Von ihnen hat sie den übertrieben theatralischen Ausdruck übernommen. Die Mimen präsentierten sich als Grössen, die Rollen spielten, in denen sie ein bedeutendes Leben wiedergaben. Nun spielt Anne-Marie ihr Gebaren nach ... im Körper eines Mannes, der die Titelfigur von Yasmina Rezas Stück auf die Bühne bringt. Spiegelung der Spiegelung der Spiegelung – bis zum Schwindel.

 

Die rot lackierten Fingernägel, mit denen Robert Dölle seine ausgeklügelte Etepetete-Choreographie in die Luft zeichnet, illustrieren Anne-Maries Kunstanspruch, der sich, ihrer Mediokrität entsprechend, in Künstelei erschöpft. So ist Theater: "Ein Märchen, erzählt von einem Idioten, voller Lärm und ganz bedeutungslos" (Macbeth). Grossartig. Man wird von der Aufführung bewegt, als ob es um uns ginge.

Hinter der Kulisse ... 

... das Nichts. 

 
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