Sohn einer Mutter. Pooyan Bagherzadeh.
Schauspiel.
Pooyan Bagherzadeh. Residenztheater München. Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 1. Dezember 2024.
> Das Stück dauert nur eine Stunde. Und doch bringt es eine intensive, welthaltige Tragödie. Der Titel lässt das schon erahnen. Die Mutter-Sohn-Beziehung ist eben ergiebig, sowohl in psychologischer als auch in dramaturgischer Hinsicht. Und wenn sie jetzt in "Sohn einer Mutter" von Pooyan Bagherzadeh zur Darstellung kommt, der sich im Land der Seele, im Bau von Dramen und im Führen von Regie auskennt, dann steigt eine Sternstunde des Theaters auf. <
Am Anfang erfasst das Licht die beiden dunklen, reglosen Figuren, die, vom Publikum abgewandt, auf zwei getrennte Leinwände blicken. Schon tritt zutage, dass der Abstand zwischen den Leinwänden und den Figuren paradigmatisch ist: Die Mutter, rechts, befindet sich in Teheran, der Sohn, links, in einem abgelegenen deutschen Dorf. Mit diesem einen Zug, der Stück und Inszenierung eröffnet, ist die Problematik von Nähe und Distanz, Beziehung und Fremde bereits gesetzt. Meisterhaft.
Das Handy stellt den Kontakt her: "Du musst unten aufs Kamerasymbol klicken!", ruft der Sohn. Die Mutter hat das noch nie gemacht. Jetzt erscheint ihr angeschnittenes Gesicht auf der Leinwand. "Das Handy etwas mehr nach links, von dir aus gesehen", bittet der Sohn. "Und du? Ich sehe dich nicht." "Oh, entschuldige." Jetzt ploppt auch das zweite Gesicht auf. "Wie geht es dir?" "Was machst du?" "Hast du schon gegessen?" Diese vertrauten Sätze schaffen die Brücke zwischen Mutter und Sohn. Das Publikum vernimmt, in welcher Lage sie sich befinden, und hört viel Unausgesprochenes mit.
Im Raum bleiben die Figuren getrennt. Der iranische Dramatiker Pooyan Bagherzadeh jedoch verknüpft ihre persönlichen, beruflichen, politischen und sozialen Aspekte zu einem Knoten, aus dem sie sich am Ende nur durch den Tod befreien können.
Folgerichtig wie die Tragödie entwickelt sich auch die Inszenierung. Das Drama läuft durch Veränderung der Beleuchtung aufs Publikum zu und springt mit einem Mal in den Zuschauerraum. Zwei Personen erheben sich aus den Bänken und treten ins Spiel: der Geliebte des Sohnes und die Schwester der Mutter. Nun zeigt sich, dass sie die ganze Zeit mit angesprochen waren, wenn von Sehnsucht und Träumen die Rede war. Sie geben den Zurückgelassenen den finalen Stoss.
Pooyan Bagherzadeh arbeitet mit dem gleichen Material wie alle andern (also Text, Mikrofon, Video, Musik), und doch unterscheidet sich seine Arbeit grundlegend von der der andern. – Als Roland Donzé an der Universität Bern noch Philologie unterrichtete, sagte er: "Ich merke immer, wenn eine Arbeit von einem Juden geschrieben wurde. Woran? An der besonderen Fluidität. Das Denken der durchschnittlichen Studenten hat etwas Schematisches. Die Juden aber, die können mit den Gedanken spielen." Diese besondere jüdische Fluidität findet sich nun – wen wundert's? – beim "Sohn einer Mutter" des iranischen Dramatikers und Regisseurs Pooyan Bagherzadeh. Ja, Nathan. Im Osten ... drei Söhne ... alle gleich zu lieben ... der Vater ... sich nicht entbrechen konnte ...
Wie geht es dir?
Du musst essen!
Schau auf die andern!