Hélène après la chute. Simon Abkarian.
Schauspiel.
Simon Abkarian. La compagnie des 5 roues im Théâtre de l'Epée de bois, Paris.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 26. Oktober 2024.

 

> Als alle Verteidiger getötet waren, verteilten die siegreichen Griechen die trojanischen Frauen unter sich. Helena kam zu Menelaos zurück. In einem 75-minütigen Dialog schildert Simon Abkarian die Wiederbegegnung des königlichen Paars nach zehnjähriger Trennung, und das Theater bewältigt die inhaltsschwere Situation mit Neoklassizismus. <

 

Auf hohen, dünnen Absätzen betritt eine grossgewachsene, schlanke Frau mit schwarzem Wuschelhaar den Raum. Sie bleibt nachdenklich stehen, und die Zeit dehnt sich aus. Regisseur Simon Abkarian gestaltet das Hereinkommen als Auftritt. Doch wessen Auftritt? Ah, der Pianistin! Sie setzt sich hinter den Flügel und eröffnet die Vorstellung mit perlenden Läufen im zeitlosen Chopin-Stil.

 

Und zeitlos geht es weiter. Die beiden hohen Personen der antiken Mythologie, Helena und Menelaos, erscheinen in gediegener, schwarzer Abendgarderobe und stellen sich, drei Meter voneinander entfernt, hinter schwarzen Ständermikrofonen auf. Die Entscheidung zum Neoklassizismus bedeutet Einfachheit. Ruhe. Durchstilisierung. Reduzierte Interaktion. Reduziertes Gebärden-, Körper- und Mienenspiel. Konzentration aufs Wort. Hörspiel mit Klavierbegleitung. Nicht Theater.

 

Auch die Sätze, die die hohen Herrschaften zu formulieren beginnen, sind gehoben. Nichts Alltägliches befleckt den Ernst ihres Gesprächs. Es hat monologischen Charakter. Der rasche, erregte Austausch von Halbversen (Stichomythien) wird vermieden. Wie könnte es anders sein? Königliche Figuren drücken sich nicht einfach aus. Sie lassen sich verlauten.

 

Dadurch, dass der Autor Informationen über früher Vorgefallenes einflechten muss, das aus dem Stoffkreis der "Ilias" stammt und heute nicht mehr vorausgesetzt werden kann, verlangsamt sich die Handlung weiter bis zur Zeitenthobenheit. – Auf diese Weise imitiert das Stück Homers epische Gemessenheit. Bei jeder Intervention wird sein "Darauf hob er an und sprach die bedeutenden Worte ..." mitinszeniert.

 

In "Hélène après la chute" bedeutet Neoklassizismus die antipsychologische, antirealistische und antidramatische Darstellung eines bedeutenden mythologischen Moments durch stille Einfalt und edle Grösse (Winkelmanns Ideal). Wie bei Wolfgang Hildesheimers Hörspiel (später Stück) "Das Opfer Helena" von 1955 erweisen sich dabei beide, Helena und Menelaos, im Lauf des Dialogs als Opfer, genauer: als Opfer des Systems. Und man spürt, wie sie hinter den Worten zart aufeinander zuwachsen.

 

Übers Ganze gesehen liegt die Pariser Produktion quer zur Gegenwart. Das macht sie für die Gelehrten interessant. Am nächsten steht ihr Rudolf Alexander Schröder. In einem programmatischen Vortrag mit dem Titel "Vom Beruf des Dichters in der Zeit" postulierte er: "Sein und Ziel aller Kunst ist Erhebung aus dem Vergänglichen, ist Rettung des Vergänglichen ins Unvergängliche, ins Bleibende". 1947 wurden diese Sätze gesprochen. Achtzig Jahre später zelebriert sie La compagnie des 5 roues für eine schmale Schar von Eingeweihten im Théâtre de l'Epée de bois in Paris. Neoklassizismus. Abgewandelte Wiederkehr des Gleichen.

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