Glückliches Soldatenleben. © Agathe Poupeney/Opéra national de Paris.

 
 

 

La fille du régiment. Gaetano Donizetti.

Opéra comique.

Evelino Pidò, Laurent Pelly, Chantal Thomas. Opéra national de Paris.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 25. Oktober 2024.

 

> Heute, wo der Krieg Russlands gegen die Ukraine in das dritte Jahr geht und der Krieg der Hamas gegen Israel ins achtunddreissigste, ist "La fille du régiment" nicht mehr aufführbar. Donizettis Machwerk (musikalisch weitgehend unerheblich) besingt zwei Akte lang den Krieg, das Kameradschaftsleben im Feld, die Besetzung ausländischer Territorien, den Kampfesmut gegen den Feind, die verehrungswürdigen Schlachtenwunden und den ruhmreichen Heldentod. In seinem Schauspiel "Operette" hat Witold Gombrowicz solchem Unsinn gegenüber den Philosophen entgegnen lassen: "Kotz, kotz, kotz." <

 

Im Zentrum von Donizettis Machwerk aus dem Jahr 1840 steht Marie, eine von der Truppe adoptierte Waise. Sie ist la fille du régiment. Im Gazastreifen leben heute schätzungsweise 40'000 Waisenkinder, deren Verhältnisse wir nicht kennen, weil alle Journalisten ferngehalten werden.

 

Marie ist eine verschollene Adelige. Am Ende der Handlung kommt sie zu Reichtum, Schloss und Mann. In Palästina ist die "Perspektive für weit mehr als zwei Millionen Menschen: eine Zukunft ohne jede Zukunft", konstatiert dagegen am Premierentag Thomas Avenarius in der "Süddeutschen Zeitung".

 

"La fille du régiment" mündet ins Finale:

 

Salut à la France !

À ses beaux jours !

À l'espérance !

Salut à la gloire !

Salut à la France !

 

Mit diesem Finale fiele das Werk in Deutschland unter den Strafrechtsparagraphen 131. Er richtet sich gegen die Verherrlichung und Verharmlosung von Krieg und Gewalt.

 

Als die Oper entstand, war Frankreich ein imperialistischer Kolonialstaat. "La fille du régiment" verherrlicht die Armee, auf der die Macht ruht, und verniedlicht den Krieg. Alle Länder, die den Krieg kennen und vom Sieg träumen, können das Werk in ihren Nationalopern aufführen. Sie brauchen nur den Namen auszuwechseln:

 

Heil dem tausendjährigen Reich!

Heil Russland!

Heil den USA!

Heil der Hamas!

Heil der Hisbollah!

Heil Israel!

Heil Palästina!

Heil Nordkorea!

Heil der grossen islamischen Republik!

Auf ihre schönen Tage!

Auf die Hoffnung!

Auf den Ruhm!

 

Kotz, kotz, kotz.

 

An der Premiere der Wiederaufnahme vermerkt der Besetzungszettel, es handle sich um die 1104. Wiedergabe des Werks an der Pariser Nationaloper. Doch das 120 Seiten dicke Programmbuch unterschlägt, dass Paris eine Produktion übernommen hat, die 2007 am Royal Opera House Covent Garden London Premiere hatte und von dort aus die Metropolitan Opera New York und die Staatsoper Wien bespielte.

 

Für das konservative Publikum dieser Häuser hat Regisseur Laurent Pelly, der auch die Kostüme besorgte, zusammen mit Bühnenbildnerin Chantal Thomas vor 17 Jahren eine problemlos kommerzialisierbare Inszenierung erarbeitet, deren ästhetischer Schick dem Auge schmeichelt und jetzt auch an der Seine gut ankommt, namentlich wenn eine derart famose Sopranistin wie Julie Fuchs die Titelrolle versieht.

 

Evelino Pidò, Stabmeister der obersten Liga, dirigiert mit Witz, Einsatz und brillanter Zeichengebung Donizettis Machwerk, als seien dort Kostbarkeiten herauszuheben. Die Situation erinnert an die Anekdote, die Richard Wagner in seinen Lebenserinnerungen überliefert hat. Der Herzog von Coburg rühmte dessen "gute Anwendung der Posaunen; als er hierfür von Liszt die Mitteilung meiner Maximen sich erbat, habe ihm dieser erwidert, das Besondere hierbei wäre, dass, ehe ich für die Posaune schriebe, mir immer etwas einfiele". Bei der "Fille du régiment" ist das keinem Beteiligten passiert.

Auf die Hoffnung!

Auf die schönen Tage!

Auf den Ruhm!

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