Wirklich schade um Fred. James Saunders.
Komödie.
Leopold Huber. Kleintheater Kramgasse 6, Bern.
Der Bund, 13. März 1980.
Absurdes Theater in Boulevard-Verdünnung
Am Premierenapplaus gemessen war "Wirklich schade um Fred" ein Erfolg. Wiederholt traten Michaela Jonser und Hans-Joachim Reineke vor den Vorhang, um sich bestätigen zu lassen: Es war gut. Damit aber beginnen die Fragen. Was genau war gut, was fand eigentlich Anklang? Der Applaus, diese zwar unüberhörbare, aber trotzdem unberedte Äusserungsform des Publikums, kann ja verschiedenem gelten, und nicht immer lässt sich ausmachen, was mit dem Klatschen gemeint war.
Bezog es sich auf die Schauspieler? Dann, würde der Kritiker einräumen, war das Lob gerechtfertigt. Anderthalb Stunden brachten die Darsteller ungebrochene Präsenz auf, in keinem Moment fielen sie aus der Rolle. Und dabei war ihnen diese keineswegs auf den Leib geschrieben.
Gemessen an ihrem wirklichen Alter sind Michaela Jonser und Hans-Joachim Reineke noch viel zu jung, um ein altes, schon leicht seniles Ehepaar zu spielen. Und doch sind Mr. und Mrs. Pringle glaubhaft verkörpert, und sie stimmen als Ganzes, wenn auch Reineke seinem Part ein paar Nuance mehr abzugewinnen vermag. (Beiläufig möchte ich fragen, warum und wozu es nötig schien, die Geschichte in schweizerische Verhältnisse zu übertragen und das englische Ehepaar als Herrn und Frau Bünzli auftreten zu lassen.) Die Darsteller sind also gut. Sie verdienen Applaus. Doch vielleicht galt das Klatschen gar nicht ihnen, sondern dem Bühnenbild? Einerlei, möchte ich sagen, auch das wäre berechtigt. Die Ausstattung, die Leopold Huber besorgt hat, ist stimmungsvoll. Sie hat die Guckkastenbühne von Nyffelers Kleintheater in ein echtes, abgelebtes Spiesser-Interieur verwandelt. Mit seinen unzähligen alten Fotografien an den Wänden drückt es nicht bloss den Innenraum eines Hauses, sondern auch das Innere zweier Seele aus, die im Damals leben statt im Jetzt und die die Gegenwart bloss dazu benützen, alte, längst gehörte und längst verschmerzte Geschichten aufzuwärmen.
Wenn aber der Beifall der Regie galt (wiederum Leopold Huber), würde ich schon zögern einzustimmen. Zugegeben, es ist immer etwas zu sehen. Mal wird gestrickt und mal wird Garn aufgeknäuelt. Es gibt auch Gänge, Pausen und wohlplazierte Einzelgesten – und trotzdem reicht das alles nicht aus, um ein durchwegs spannungsvolles, dichtes und differenziertes Ganzes zu schaffen.
Doch liegt so etwas überhaupt im Stück? Ist es denn durch die Darsteller (und mögen sie noch so überzeugend sein), durch das Bühnenbild (so stimmungsvoll es sein mag) oder durch die Regie (wie einfallsreich auch immer) zu retten? Ich zweifle. Sollte ihm also der Beifall gegolten haben, dann müsste ich protestieren. Denn die Geschichte der alten Leute, die sich nach und nach ins Gedächtnis zurückrufen, was früher mal mit Fred geschah, ist schlichtweg dürftig. Das hängt nicht bloss an der mageren Pointe. Und auch die psychologische Unschärfe ist nicht ausschlaggebend. Sondern die Schwächen dürften vor allem in dem liegen, was Saunders nicht herausgebracht hat.
Sein Stück bringt keinen Ausschnitt aus der wirklichen Welt. Es entwirft aber auch keine genial erfundene Kunst-Realität. Sondern es schwankt kraft- und haltlos zwischen beidem. So aber leistet es nichts Ernstzunehmendes. Seine Daseinskritik ist inkonsequent und oberflächlich, und die Sinnlosigkeit der Wiederholungen, die im absurden Theater so eindringlich wird, erscheint hier lediglich als modischer Aufputz.
Ein so lakonisches Kompendium wie "Friedrichs Theaterlexikon" trifft mithin den Nagel auf den Kopf. Unter dem Stichwort "Saunders" steht nämlich bloss ein Satz: "Stilmittel des absurden Theaters in Boulevard-Verdünnung". Boulevard – das ist des Rätsels Lösung, die nach anderthalb Stunden serviert wird. (Liebhaber bringt Ehemann um und heiratet Frau.) Und "absurdes Theater" wäre hier zu verstehen als das umständliche Drum und Dran, das die Lösung hinausschieben hilft, damit der Zuschauer der Hochstapelei nicht auf die Schliche kommt.