Sturmhöhe oder Heathcliff Heathcliff! Fassung nach dem Roman von Emily Brontë.
Schauspiel.
Bühnen Bern.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 30. September 2024.
> Die Aufführung besteht aus zwei Stunden Jonglage mit Allusionen. Im Publikum sind einige in der Lage, die Anspielungen zu entziffern, weil sie wissen, aus welchem Kontext sie stammen und was sie aussagen. Die Uneingeweihten dagegen merken nur, dass das Vorgetragene als Zitat funktioniert und auf Zusammenhänge verweist, die sich ausserhalb von Spiel und Bühne befinden. Durch Allusions-Jonglage bringt die Inszenierung alles heute Relevante in Erscheinung: die Gender-, die Queer-, die Kolonialismus-, die Kapitalismus-, die Identitäts-, die Bewusstseins-, die Gesellschafts-, die Narrations- und die Kulturproblematik. Mit dieser Auffächerung in Aspekte kann die Aufführung keinen Bogen und keine Linie mehr haben. Die Darsteller zitieren noch Sätze, Emotionen, Gesten. Das Verkörpern, Vergegenwärtigen, Durchleben aber bleibt ihnen verwehrt. Im Publikum soll es einige geben, denen das gefällt. Lydia Zwahlen, Putzfrau aus Bümpliz, pflegte in solchen Fällen zu rufen: "Gib mir deine Augen!" <
Für Aussenstehende ist die Produktion unlesbar. Wer das Theater ohne Vorbereitung aufsucht, gerät in eine Mischung von Vorsprechen und Schauspielübung. Die Darsteller wenden sich ans Publikum in der gleichen Art, wie sie bei der Bewerbung um eine Rolle vor einem Besetzungsgremium spielen. Anhand eines Textfragments zeigen sie, was sie draufhaben. Damit die Jury vergleichen kann, tragen alle denselben Abschnitt vor. In Bern sind die Unterschiede minim, Person und Eigenart kaum spürbar. Offensichtlich sind Gleichförmigkeit und Normierung verlangt.
Auf diese Weise wird beim epischen Theater die Spannung gebrochen. Der Schauspieler soll mit seinem Können nicht Faszination hervorrufen, sondern Langeweile. Ziel der Wiederholung ist nämlich, den Sog der Handlung zu brechen, damit das Publikum vom Mitfühlen weg zum Nachdenken komme. Es soll durch stockenden Handlungsverlauf die kapitalistischen und imperialistischen Kausalitäten begreifen lernen und sich von ihnen absetzen.
Bei dieser Form von Theater ist also Kritik gefragt, nicht Identifikation. Nicht Identifikation mit der Rolle (für den Schauspieler), nicht Identifikation mit den Figuren (für den Zuschauer). Alle sollen frei bleiben. Und so erscheinen jetzt die Menschen auf der Bühne wie hinter Glas. Sie gleichen den Objekten einer Auslage. Sie müssen sich verkaufen.
Neben dem Vorsprechen gibt es die Gruppenübungen: "Ihr zwei zusammen! Danke, gut. Und jetzt ihr!" Die Beweglichkeit wird zur Schau gestellt. Die Stimmstärke. Der Umgang mit Kostümen und Requisiten. Das Material liefern einzelne Sätze und Situationen aus Emily Brontës Roman "Sturmhöhe", angereichert mit Aperçus zur Gender-, Queer-, Kolonialismus-, Kapitalismus-, Identitäts-, Bewusstseins-, Gesellschafts-, Narrations- und Kulturproblematik.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus. (Goethe, Faust)
Es schlägt sich da eine generelle Entwicklung im Theater nieder: die zum Dramaturgenstrebertum und zur Blasenbildung im Namen des Korrekten, Woken und Guten. (Christine Dössel, Süddeutsche Zeitung)
Einst machten vielschichtige Charaktere, gute Geschichten und, wichtig, die Kunst, das Zentrum des Schauspielwesens aus. Heute sind sie zu Netflix ausgewandert. O du herrlicher Fortschritt.
Schauspielsoldaten.
Nebulöses Geschehen.