Der Wirrkopf. Molière.
Komödie.
Städtebundtheater Biel–Solothurn.
Bieler Tagblatt, 7. August 1980.
Das Stadttheater zu Gast in der Lindenegg (beim Rosius):
Ein reines Freiluft-Vergnügen!
Um's vorweg zu sagen: Bei dieser Aufführung kommen alle auf ihre Rechnung. Wer sich vergnügen möchte, wird glänzend unterhalten. Das Stück Molières ist burlesk, die Regie entwickelt originelle Spielzüge. Die Schauspieler sind gutgelaunt und zum Teil echt virtuos. So werden auch jene zufriedengestellt, die nicht bloss leichte Kost konsumieren wollen, sondern auch an ihre Zubereitung einige Ansprüche stellen.
Die Ausgangssituation von Molières "Wirrkopf" ist konventionell. Es geht um die Frage: Wie kommen wir an die atemberaubend schöne Sklavin, wenn uns das Geld fehlt, sie loszukaufen? Und die Antwort lautet: Wir verschaffen uns die reizvolle Celia mit List.
Dass man versucht, mit Ränken ans Ziel zu kommen, davon lebt fast jedes Lustspiel. Ungewöhnlich ist in dieser Komödie die Art des Hindernisses. Im Weg steht nicht der alte Truffaldin, der die schöne Celia besitzt, noch Leander, der Nebenbuhler; das Hindernis ist Lelio, der Verliebte, selbst. Er verplaudert die Geheimnisse, vereitelt die Listen, zerstört die Intrige.
So müsste Mascarill, der Diener, eigentlich an zwei Faktoren denken, wenn er seinem Herrn die Angebetete verschaffen will. Aber er rechnet nur mit der Dummheit und dem Geiz der Feinde, doch nicht mit der Ehrlichkeit und Unschuld seines eigenen Herrn. So verspielt der eine, was der andere gewinnt. Die schönsten Pläne des Dieners Mascarill durchkreuzt Lelio, der Herr. Und zwar einen nach dem andern, insgesamt zehn. Zehnmal also sieht der Zuschauer, wie Mascarill mit List eine Intrige spinnt, und zehnmal sieht er, wie Lelio sie vereitelt. Lelio tut das nicht aus Bosheit und Arglist, nein, sondern aus Ehrlichkeit. Sein Fehler ist, dass er es gut meint und vor allem – dass er verliebt ist.
Dreierlei macht mithin den Reiz des Schauspiels aus: Einmal das Vergnügen am Streich, der eingefädelt wird. Zum zweiten die Neugier, welche Patzer Lelio diesmal begehen wird, um die Finten zu vereiteln. Und dann, wenn das Stück gleichförmig zu werden droht mit seinem fortwährenden Patt zwischen Verschlagenheit und Offenheit – dann kommt drittens die Neugier auf, wie Molière das Stück beenden wird.
Er löst den Knoten auf, indem er die Erwartungen der Zuschauer täuscht, und darin zeigt sich die profundeste Komik. Molière lässt nämlich weder den Listigen siegen noch den Ehrlichen. Sondern was das Stück beendet, ist schlicht ein "Wunder des Himmels".
In Wirklichkeit ist natürlich der mirakulöse Zufall das Werk Molières. Er, der Stückeschreiber, hat die Fäden gezogen, er spielte die Vorsehung, welche die unwissenden Menschen zum guten Ende leitet. Und das ist, literaturgeschichtlich gesehen, von Bedeutung. Noch ist es der Stückeschreiber, der die Vorsehung spielt. Später aber, im "Don Juan", wird er sie objektivieren und einen Menschen zeigen, der keine göttliche Macht mehr über sich anerkennt und sich selber absolut setzt. In dem Moment aber, wo auf der Bühne die göttliche Vorsehung geleugnet wird, wird sich Molière für die Gesellschaft seiner Zeit unmöglich machen. "Don Juan" wird auf Druck der Kirche hin abgesetzt werden müssen.
Die frühe Komödie vom "Wirrkopf" ist also "nicht ganz ohne". In ihr kündet sich nicht nur der "grosse", sondern auch schon der gefährliche Molière an, der die Sachen ein bisschen zu scharf sieht, um noch behaglich zu sein.
Trotzdem ist es richtig, dass die Inszenierung das Stück auf den reinen Spass hin anlegt. Molière konnte damals, 1665, noch nicht wissen, in welche Tiefen ihn sein Dichten führen würde. Hier ist er noch ganz unbeschwert, ohne Bitterkeit, voller Possen.
Ebenso unbeschwert, locker und voll schöner komischer Einfälle wie das Stück ist auch die Aufführung. Mit Augenmass hat Walter Ruch die Effekte eingesetzt. Er hat auf Rhythmus im Gestischen geachtet. Das Spieltempo ist flott, ohne je überdreht zu wirken. Und schliesslich gibt eine feine Stilisierung dem Ganzen Halt. So bietet das Sommerstück des Städtebundtheaters den Zuschauern ein reines, uneingeschränktes Vergnügen.
Allerdings standen Walter Ruch auch ein paar Darsteller zur Verfügung, die Gespür, komödiantische Begabung und Nuancenreichtum einsetzen konnten. Günter Rainer ist vorab zu nennen, der einen unübertrefflichen Mascarill bot. Mit staunenswerter Souveränität setzte er sein reiches Talent ein und hielt die Fülle der Facetten zusammen durch eine Schauspielkunst, die im Detail sitzt.
Ebenso wendig, ebenso locker und ebenso gutgelaunt stand im Beat Albrecht als Lelio zur Seite, so dass die beiden ein ausgezeichnetes komödiantisches Duett abgaben. Und als noch Alf Beinell als Anselm hinzustiess, der von ihnen den Ton abnahm und glänzend weiterführte, war das Terzett beisammen, das vergessen liess, dass das Ensemble nicht ganz auf seiner Höhe mithalten konnte. Doch immerhin, es hat die drei Solisten zuverlässig unterstützt. So ist an dieser schönen Aufführung eigentlich nur eines bedauerlich: Dass das Städtebundtheater nicht diesen Molière am schweizerischen Theatertreffen in Winterthur zeigen konnte. Es hätte damit bei der gesamtschweizerischen Kritik eine gute Figur gemacht.