La Chute. Albert Camus.
Einpersonenstück.
Geraud Benech. Théâtre de la Contrescarpe, Paris.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 15. Februar 2024.
> Der letzte Roman von Albert Camus eignet sich gut für den Vortrag auf der Bühne. Er bringt nämlich einen durchgehenden Monolog. Das sprechende Ich beschreibt, ergründet, klagt an, zieht Bilanz, rechnet ab. Ausgangspunkt ist der Sturz einer jungen Frau vom Pont Royal in die Seine. Der Selbstmord präfiguriert den Fall des Ichs, welches am Unglück vorbeiging und jetzt eine Beichte ablegt, ohne Absolution zu finden. <
Regisseur Geraud Benech lässt Albert Camus' Abrechnung in der Ausstattung beginnen, in der Samuel Beckett "Das letzte Band" angesiedelt hat. Auf der Bühne steht "ein kleiner Tisch. Auf dem Tisch ein Tonbandgerät mit Mikrofon." Der alte Krapp bei Beckett und der alte Clamence bei Camus käuen ihre Frauengeschichten wieder. Sie handeln von vertaner Chance und Schuld, von zehnminütigen fleischlichen Begegnungen ohne Liebe. Clamence: "Wenn man sagt: Ich habe die Frauen geliebt, bedeutet das, dass man keine einzelne geliebt hat."
Bei Beginn der Aufführung sitzt der 68-jährige Stanislas de la Tousche im Unterhemd auf der Bühne, eine Zigarette zwischen den Lippen. Er schlägt auf die Tasten einer mechanischen Schreibmaschine. Dann setzt er das Tonband in Gang. Zum ersten Mal hört das Publikum die Sätze, die den Sturz beschreiben: "Es war nach Mitternacht. Ich ging über die Brücke. Die junge Frau war übers Geländer gebeugt. Ich sah ihren regennassen Nacken. Ohne anzuhalten ging ich weiter. Nach fünfzig Metern hörte ich den Aufprall des Körpers auf dem Wasser." Jetzt zieht der Schauspieler ein Hemd an. Eine Krawatte. Ein Veston. Er tritt nach vorn. Er spricht zum Besucher einer Bar in Amsterdam und beginnt zu erklären, was ihn in die Fremde geführt hat.
"Seul en scène" heisst das Format, das Stanislas de la Tousche ausfüllt. Es ist in Paris beliebt. Für die kleinen Häuser ist es finanziell und technisch gut bewältigbar: Einheitsbühnenbild, keine Umbauten. Und das Publikum, das im Ausgang zwischendurch gern eine gehaltvolle Stunde aufnimmt, bekommt literarisches Theater ohne Schnickschnack geboten. So ist im Quartier Latin an diesem Montag das Théâtre de la Contrescarpe um 21 Uhr bis zum letzten Platz gefüllt.
Ausschlaggebend für den Erfolg ist die Besetzung. Der Darsteller des Einpersonenstücks muss glaubhaft sein. Die kleinen Häuser vertragen keine falschen Töne, sonst dringt die Ist-Soll-Divergenz gleich schmerzhaft ins Ohr. Andererseits braucht es subtile Mittel, um das Aufkommen von Monotonie durch Wechsel der Töne zu verhindern. Am besten sind die Vorstellungen, bei denen es nichts Auffälliges zu bemerken gibt. Dann verschmilzt die Aufführung mit der Vorlage. Bei "La Chute" ist das der Fall.
Vom Publikum hört man den ganzen Abend keinen Laut; nicht einmal einen Huster. Die jungen Leute nehmen die Darbietung still wie ein Löschblatt auf. Am Schluss aber rühren sie energisch die Hände und zeigen, dass sie wach waren und das Gebotene zu würdigen verstanden.
Der Spieler ...
... macht sich bereit ...
... zum Geständnis.