Macbeth. William Shakespeare.
Tragödie.
Roger Vontobel, Fabian Wendling. Bühnen Bern.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 22. Oktober 2023.
> Wenn die ganze Vorstellung so gut wäre wie ihre starken Momente, käme man aus der Bewunderung nicht heraus. Aber die Inszenierung sorgt dafür, dass es Stellen gibt, wo die Aufführung abfällt. Das ist immer der Fall, wenn die Musik spielt. Dann versteht man den Text nicht. Daneben gibt es verschiedene Passagen ohne Musik, die, fehlerhafter Diktion geschuldet, zum Teil ärgerlich, zum Teil unverständlich ausfallen. So schwankt die Tragödie an der Premiere zwischen mangelhaftem Handwerk und eindrücklichen Kunstmomenten. Mit "Macbeth" ist das Berner Schauspiel noch nicht am Ende des Weges angekommen. <
Lady Macbeth kann nicht sprechen. Ihre Konsonanten sind schwach, ihr S unhörbar. Man muss das Ohr scharf anstrengen, um zu verstehen, was sie äussert, und auch dann versteht man nicht alles. Körpersprachlich, ja, da kann die Darstellerin etwas vormachen: Der entfesselte Tanz nach dem Mord an König Duncan – ein ekstatisches Aussersichsein mit weit ausschwingenden Beinen und flirrenden Händen - ist atemberaubend. Aber sobald Lady Macbeth innehält und bloss spricht – und sie hat Wichtiges zu sagen – schrumpft die königliche Person zusammen zu nichts. Damit steht Susanne-Marie Wrage in bemitleidenswertem Kontrast zu Werner Wölbern. Bei ihm fliesst die Rede unangestrengt von den Lippen; sein Kavaliersbariton trägt jede Silbe und jeden Laut mühelos in den Zuschauerbereich.
Die Zurückgenommenheit, mit der Werner Wölbern Macbeth zeichnet, umreisst genau den Charakter des Helden. Er setzt sich zusammen aus anerzogener Bescheidenheit (der Mann kennt seinen Rang im Gefolge und zeigt Loyalität), vorsichtigem Belauern der andern (er hält sein Spiel bedeckt, passt aber auf jede gute Gelegenheit), Vorspiegelung von Coolness (Unerschütterlichkeit wirkt stark) und Mediokrität (der teigige Charakter bekommt nur Form durch seine energische Frau).
Sein Abenteuer mit den Hexen – und überhaupt das Stück – inszeniert Roger Vontobel so, wie es Shakespeare geschrieben hat. Auf nachtschwarzer Bühne erscheinen brüllende, drehende, krächzende, zuckende, tanzende, kreischende Fratzen aus dem Jenseits. Mit ihrem Auftritt wird der Minderwertigkeitskomplex des schwachen Manns von Gestalten aktiviert, die ihm von links und rechts, oben und unten her einblasen, was für ein Kerl er sei und welche Stellung ihm in der Welt gebühre. Und die Schmeichelrede seiner Lady facht den pubertären Grandiositätswahn endgültig an:
... Verbirg dich, Sternenlicht!
Schau meine schwarzen, tiefen Wünsche nicht!
Sieh, Auge, nicht die Hand; doch lass geschehen,
Was, wenns's geschah, das Auge scheut zu sehen.
Das kreisrunde Podest, auf dem Macbeth steht, entspricht der wissbaren, lenkbaren, pragmatisch überblickbaren Welt (Bühne Fabian Wendling). Sie wird begrenzt von der Finsternis, aus der das Unmenschliche, das Andersartige, das Dämonische steigt; Fichte nannte es das Nicht-Ich, Freud das Unbewusste.
Macbeth beginnt, den Hexen zu vertrauen, als das von ihnen Vorausgesagte zum ersten Mal eintrifft. Er ist damit ein Vorläufer Wallensteins, der sich auf die Astrologie stützte, ein Nachfahre der römischen Generäle, welche die Schlachtenpläne vom Flug der Vögel abhängig machten, und ein Zeitgenosse der Aluhutträger, die sich auf ihr Bauchgefühl verlassen. Allen ist gemeinsam, dass sie an ein Etwas hinter der Realität glauben, welches sie für das Eigentliche, Bestimmende, Lenkende halten und welches ihnen als Auserwählten geoffenbart ist, wenn sie die Riten einhalten und nicht vom vorgeschriebenen Weg abweichen.
Mit dieser Disposition zeigt Macbeth bei Werner Wölbern nur moderate Gefühle. Denn im Innersten ist er stur, nicht von Zweifeln geplagt, wahrhaft beschränkt, man könnte auch sagen: dumm. Seine Idiotie tritt in den Begegnungen mit Lennox zutage. Die Figur erscheint bei Linus Schütz als unzivilisiertes, brutales Wesen, welches den Auftrag zur Ermordung einer Familie mit rotzigem Händedruck beeidet. Dass Macbeth, mittlerweile zum schottischen König hochgestiegen, auf einen solchen Helfer angewiesen ist, macht beide, den Mörder und den Auftraggeber, zu scheusslichen Brüdern Calibans. Die Eindringlichkeit von Roger Vontobels Inszenierung entsteht durch ihre klare Figurenzeichnung.
Was zum Teufel will, lässt sich nicht aufhalten. In zunehmender Kadenz häuft sich Unheil auf Unheil und rückt dem Publikum an die Gurgel. Die Aufführung wäre, gerade vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens, nicht zum Aushalten, gäbe es nicht die Lichtgestalt von Lucia Kotikova, die den Malcolm nicht nur vorzüglich verkörpert, sondern auch vorzüglich spricht.
Immer, wenn bei Shakespeare die Tragödie den Abgrund erreicht hat und sich im Zuschauerherzen Depression ausbreitet, kommt von "drüben" (hier England, in anderen Stücken auch Frankreich) als Retter ein Friedensfürst, der mit dem alten Regime aufräumt, alle Herzlosen beseitigt und ein Reich der Eintracht, der Gerechtigkeit und des Wohlergehens anbrechen lässt. Mit dieser Perspektive leistet das Berner Schauspiel einen wichtigen Beitrag gegen den Wahnsinn unserer Zeit und darüber hinaus.
"Verbirg dich, Sternenlicht!"
"Schau meine schwarzen, tiefen Wünsche nicht!"
"Doch lass geschehen, was das Auge scheut zu sehen."