Molières Amphitryon. Nach der französichen Komödie.
Schauspiel.
Bruno Cathomas, Alvise Lindenberger. Bühnen Bern.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 13. Oktober 2023.
> Beim Hinausgehen bekannte ein junger Mann: "Ich habe zwar die Handlung nicht ganz begriffen. Doch die Aufführung war geil." Regisseur Bruno Cathomas hat das Original von Molière gekürzt, zerschnipselt, und in einen Zusammenhang gestellt, der auf dem Theater immer zieht: "Die ganze Welt ist Bühne, und alle Männer und Frauen blosse Spieler." Unter dieser Perspektive, die nicht lediglich einen ironischen, sondern einen nihilistischen Blick auf die Dinge wirft, wird alles möglich. Und alles Mögliche veranstaltet auch die Fassung "nach der französischen Komödie" im Berner Schauspiel. Das macht sie schillernd, spassig, modisch, und je nach Geschmack sogar "geil". (Programmheft: "Danke an Noëlle Meier für das Trampolin-Training.") Wer indes Komödien mit Substanz liebt, verabschiedet sich aus dem Abend mit dem Wunsch: "Mehr Gewicht!" <
Bruno Cathomas beginnt seine Inszenierung im Vorraum. Da schwankt die Leuchtstärke von Glühbirnen und Spots so bedrohlich, dass Finsternis die Normalität des Theaterbetriebs bedrängt. Und wenn dann alle im Zuschauerraum Platz genommen haben, ist es aus mit dem Licht. Nach langen Minuten blitzt endlich der Kegel einer Stablampe auf. Jemand schimpft in ein Handy: "Die Notstromanlage, gopfriedstutz!" Man erkennt die Stimme von Jonathan Loosli. Er tut, als sei er aufgeregt und sei nicht Schauspieler, sondern Techniker.
Mit dieser durchschaubaren Imperfektion sagt die Aufführung: "Wir streben nicht Filmnaturalismus an, sondern Spielkonstellationen, in denen wir auf die Verflechtung von Theater und Leben, Rollenspiel und Charakter hinweisen." Konsequenterweise zeigt die Inszenierung nicht das Stück, sondern eine Probe zu "Molières Amphitryon". Die Finsternis am Anfang der Komödie ergibt sich als Produkt des Zufalls, zurückzuführen auf ein technisches Gebrechen.
Anders bei Molière. Da bittet Merkur, der Götterbote, in einem Prolog die Nacht darum zu verharren, damit Jupiter die Liebesstunde im Bett Alkmenes länger geniessen kann. Der Herr des Olymps ist einer Irdischen, der Gattin des Feldherrn Amphitryon, verfallen. Jetzt hat sich der Kosmos seinem Begehren unterzuordnen und seiner Lust zu dienen. Der Göttervater hat damit denselben Charakter wie Ludwig XIV., der Herrscher von Versailles. Der Herzog von Saint-Simon, der ihn genau beobachtete, hielt fest: "Der König liebte nur sich. In seinen Augen zählte nur er, und er war für sich selber der höchste Zweck." (Le Roi n'aimait et ne comptait que lui, et était à soi-même sa fin dernière.)
In "Amphitryon" von Molière sind die Menschen Spielball der Götter. In der Berner Produktion von "Molières Amphitryon" sind sie Spielball des Zufalls. Die säkulare, nihilistische Anlage erlaubt zwar ausgelassenes Herumalbern, führt aber nicht, wie die "sehr ernsten Scherze" (Goethe) der grossen Komödienautoren, zu Umschlag (Fachwort: "Katastrophe"), Erschrecken und Einsicht.
In diesem also eher beschränkten Rahmen, wo sich das Theater als Spiegel des Menschen auffasst und gleich noch selber spiegelt, bewegt sich das Ensemble in einer Bandbreite von Loyalität und Virtuosität. Mit ausdrucksstarkem, groteskem Spiel Claudius Körber als Sosias; engagiert und körperlich agil Linus Schütz als Molière, Amphitryon und Jupiter; selbstbewusst und imponierend Yohanna Schwertfeger als Regisseurin und Alkmene; beeindruckend deutlich Lucia Kotikova als Merkur; und ordentlich Lou Haltinner vom HKB-Schauspielstudio.
Als Wesen von unbestimmter Identität durchzieht Alvise Lindenberger unter blonder Langhaarperücke die Vorstellung mit perkussiven und tonalen Interventionen. Seine "Live-Musik" (Programmheft) gibt der Produktion einen auratischen Charakter, wie wenn Ariel, der Luftgeist, im Theater das erste und das letzte Wort hätte. Mit diesem Zug erhebt sich "Molières Amphitryon" aus der Beliebigkeit und bekommt die Faszination hingehauchter Schönheit.
Ausdrucksstarkes Spiel ...
... und Agilität.