Król Roger. Karol Szymanowski.
Oper.
Alexander Merzyn, Tomo Sugao, Julia Katharina Berndt.
Staatstheater Cottbus.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 1. Mai 2023.
> Seit zwei Monaten kann kaum eine Vorstellung beginnen, ohne dass jemand an die Rampe tritt (wenn die Aufführung nicht ganz abgesagt oder durch einen anderen Titel ersetzt werden musste). Diesmal ist der Sänger der Hauptpartie durch den Flug der Pollen beeinträchtigt. Doch die Heuschnupfenmittel wirken. Darum können sich die Zuschauer jetzt, wie die Frau mit dem Mikrofon sagt, "nach Sizilien" entführen lassen. Der Vorhang geht auf - und das Publikum merkt den ganzen Abend nichts von Sizilien. Regietheater. <
In seiner Inszenierung folgt Tomo Sugao nicht den Worten, sondern den Noten des Komponisten. Ein kluger Entscheid. Für "Król Roger" schrieb Karol Szymanowski nämlich das Libretto selbst. Es kam nicht gut heraus. Die schwülstige Sprache des Werks steht – wie bei Richard Wagner und Joachim Raff – in umgekehrtem Verhältnis zur musikalischen Qualität. Die ist dicht. Auf dem Weg über Mahler und Strauss kamen laufend mehr Noten in die Musik, mehr Instrumente, mehr Stimmen. Jetzt ist das Partiturbild, der Epoche entsprechend, schwarz.
Demzufolge finden sich im Proszenium links des Cottbuser Staatstheaters zwei Hafenspielerinnen, und ihnen gegenüber, im Proszenium rechts, je ein Klavier- und ein Celestaspieler. Ihre Stimmen mischen sich in den Sound, den das Philharmonische Orchester, die Opernsänger, die Chorsolisten, der Opern-, der Kinder- und der Jugendchor miteinander hervorbringen. Dergestalt fliesst, wogt und strömt die Komposition breit dahin. Aber in der Grossform bildet sie distinkte Abschnitte.
Die Abschnitte nimmt Tomo Sugaos Inszenierung auf. Wie die Partitur gefüllt ist mit Noten, ist die Bühne gefüllt mit Menschen, Bewegungen, Kostümen und Requisiten. Sie spiegeln eine Wandlung, angestossen durch ein neues Bewusstsein. Überbracht wurde es von einem Hirten, der die Botschaft der Liebe verkündete. Der vollständige Titel des Werks evoziert den Gegensatz von altem und neuem Leben: "König Roger oder der Hirt". Dahinter steht die Frage: Weltbesitz oder Seelenheil?
Nun schildert die Bühne - analog zur Christianisierung des römischen Reichs und allen weiteren Erweckungsbewegungen - die Phasen Widerstand, Abschwörung des alten Denkens, Umkehr, Nachfolge und Aufbruch und zeigt damit so etwas wie New Age avant la lettre. Hinter "Król Roger" liegt nämlich ein diffuser "Sammelbegriff für Religion im Abendland unter den Bedingungen der Moderne, die sich aus dem kirchlichen Rahmen gelöst hat" (Christoph Bochinger).
Eine Besucherin aus Berlin, überzeugte Marxistin, hält das nur bis zur Pause aus. Für sie symbolisiert der Auftritt des Chors mit seinen schicken Papiertüten der Marke "Roger", wohl nicht zu Unrecht, die gleichgeschaltete Konsumgesellschaft: "Die Leute kommen aus dem Kaufhaus, zum Beispiel dem KaDeWe. Jetzt werden sie von den Grünen zum Verzicht aufgerufen (so liest die Besucherin die grüne Topfpflanze, die der Hirt mit sich trägt), und schwupps, schmeissen sie ihre modischen Dessous in den Kübel und finden das Heil in den grünen Äpfeln, die der Hirt unter der Menge verteilt. Sorry, aber das ist mir zu einfach."
Was lässt sich dagegen sagen? Da liegt der Preis, wenn man die Handlung aus ihrer Zeit und ihrem Ort herauslöst. Król Roger ist (die Inszenierung zeigt das nicht) eine historische Gestalt. Sie lebte auf Sizilien im 12. Jahrhundert. Doch Karol Szymanowski sah in ihr Vorbildlichkeit für die Rettung der Welt. König Roger: "Meiner tiefen Einsamkeit, dem Abgrund meiner Macht entreisse ich mein reines Herz und bringe es als Opfer der Sonne dar!"
Durch Nebel und umgestürzten Thron zeigt das Bühnenbild von Julia Katharina Berndt die umgestürzten Verhältnisse, und gleichzeitig verweisen die aufgestossenen Wände auf ein Heil, das im Jenseits liegt und nicht auf dieser Welt. Karol Szymanowskis Biografie beglaubigt den Ansatz: Der Komponist sehnte sich nach Erlösung durch das Heil. Er war nicht nur tuberkulös, sondern auch pädophil.
Die synkretistische Anlage der Oper, die bekenntnishaftem Kitsch nicht ausweicht, gibt das philharmonische Orchester Cottbus unter seinem GMD Alexander Merzyn mit beeindruckender Akkuratesse wieder. Die grossen Stimmen von Chor und Solisten werden von den Klangwogen nie zugedeckt. Wer problematisch überladene Werke an der Grenze der Tonalität interessant findet und spätromantische Morbidität verträgt, wird "Król Roger" auch ohne Trigger-Warnung geniessen.
Die Last der Welt ...
... wird überwunden ...
... durch das Heil.