Das "Pupperl" liest sich in der "Krone". © Marcel Urlaub.

 

 

Ich bin alles – Als mir die Stadt gehörte. Magda Woitzuck.

Schauspiel von Calle Fuhr und Charlotte Sprenger nach einem SWR2-Podcast.

Charlotte Sprenger, Aleksandra Pavlovic. Volkstheater, Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 23. März 2023. 

 

> Vom Zuschauerraum her steigt eine graue Maus auf die Bühne. Das Volkstheater Wien schickt die Schauspielerin Sophia Mercedes Burtscher mit dem Einfrauenstück "Ich bin alles – Als mir die Stadt gehörte" durch die Aussenbezirke. Die graue Maus ist das "Pupperl". So hiess Andrea M. im Wiener Rotlicht- und Giftmilieu. Dort diente sie sich in den Nullerjahren zur Grossdealerin empor. Auf der Bühne schält sich jetzt eine stolze junge Frau aus dem Pelzkostüm. Sie erzählt, wie sie jonglierte mit Freund, Kind, Pflegekindern, Partnern, Lokalen, Kunden und Stoff. Bei der Verhaftung erbeutete die Polizei eine Tonne Haschisch. Und aus war der Rausch. <

 

15 Jahre nach der Haftentlassung hat Andrea M. ihre Aschen­puttel­geschichte dem Aufnahmegerät der Schriftstellerin Magda Woitzuck anvertraut. Daraus entstand bei SWR2 ein Podcast von 13 Folgen zu jeweils einer halben Stunde. Eine Hörprobe genügt, damit der Konsument dranbleibt. Er kommt in ein Milieu von Jungs und Mädels, von dem er keinen Schimmer hatte, wenn er in den Gängen der U-Bahn an den Lauernden, Sitzenden, Stehenden, Liegenden, Schlummernden, Wartenden, Ein- und Aussteigenden vorbeikam.

 

In Sätzen, die Nestroys Entzücken ausgelöst hätten, erklärt Andrea M. mit schönem, wienerisch gerolltem R, dass im Kern jedes harten Kriminellen ein kleiner, verlassener Bub steckt. Seine Hilflosigkeit mobilisiert den weiblichen Schutzinstinkt. Harte, unverletzliche Regeln halten die Bande zusammen: "Wenn die überall gelten würden, sähe es auf der Welt besser aus", meint Andrea M. Sie durchschaut, wie die Menschen ticken. In der Farbigkeit der Schilderung spürt man ihre Sensibilität, und in der Klarheit der Sprache ihre Intelligenz.

 

Vieles von dem kommt in der Bühnenfassung von Calle Fuhr und Charlotte Sprenger herüber, die das Volkstheater Wien zur Uraufführung brachte. Das Bühnendeutsch von Sophia Mercedes Burtscher unterstreicht die stolze, eigenständige Seite der Person: Eine starke Frau. Die wirkliche Andrea M. strahlt dazu noch Offenheit, Wärme und Kumpelhaftigkeit aus. Durch diese Qualitäten macht sie den Hörer zum Mitverschworenen.

 

In der Theaterinszenierung erweitert Charlotte Sprenger den Radio-Podcast durch drei illustrative Elemente (Aleksandra Pavlovic): (1.) Schmerzhaft laute, unmässig lange Sound­einlagen von Pollyester erinnern daran, dass sich nicht nur Männer schmerzhaft laut und unmässig lang ausbreiten können. Daneben evoziert (2.) ein Drehpodium das Leben als Ringelspiel und (3.) ein Baustellenabort Welt und Gefängnis (vulgär österreichisch: "Häfen") als verschissenen Ort. – Da der Podcast "Shit happens" heisst und Haschisch volkstümlich Shit genannt wird, unterstreicht die Aufführung mit ihrer einfachen Symbolik die Bedeutung der Bühne als Spiegel der Welt: "Ich bin alles." Das kann man unterschreiben.

 

Von der grauen Maus ...  

... zur Giftkönigin. 

 
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