Eine Obduktion. © Marcella Ruiz Cruz.

 

 

Katharsis. Dead Centre.

Schauspiel.

Burgtheater, Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 23. März 2023.

 

> Das Stück ist nicht gut. Daher nicht die Rollen. Daher ebenfalls nicht die Aufführung. Woran sich zeigt, dass Sujet und Anliegen weniger zählen als die Machart, das heisst die Führung der Handlung. In ihr liegt die Schwäche des Stücks. Man könnte auch sagen: in der Anatomie. <

 

Kern des Stücks bilden die Informationen zu Angelo Soliman, wie sie Wikipedia überliefert (siehe dort). Sie kommen im Lauf einer Obduktion – seiner Obduktion – ans Licht. Damit über­lappen sich bereits zwei Zeiten: die Gegenwart eines anatomi­schen Theaters, in dem die Besucher der Demonstration eines Sektionsakts beiwohnen, und das Wien der Kaiser Josef II. und Franz II., in dem Soliman lebte.

 

Eingepasst wird das Geschehen in den 2500 Jahre alten Stoff der "Antigone", wo es um das Recht auf die Bestattung einer Leiche geht. Aus der altgriechischen Tragödie, mit der das Stück beginnt, wendet sich ein Schauspieler an die Zuschauer. Er räsonniert über das Theater, die Rolle des Schauspielers und die Betrachtung von lebenden und toten Körpern. – Das Stück folgt also dem Babuschka-Prinzip. Doch seine Schichten bilden, dem chaotischen Zeitverlauf geschuldet, weder ein Ineinander noch ein Nacheinander, sondern bloss ein Durcheinander. Nicht gut.

 

Zum Schaden der Aufführung verzichtet das Stück auf die Möglichkeit, Spannung zu wecken. Im Gegensatz zum Krimi ist bei ihm die Frage: "Wer ist der Tote? " nicht erkenntnis­leitend. Vielmehr stellt das Theater die Demonstration eines Obduktionsakts ins Zentrum. Damit verzichtet es auf die Möglichkeit, Identifikation zu schaffen, sei es mit dem Toten oder mit einem der Lebenden im anatomischen Hörsaal.

 

Das Manko wiederum ist dem Verzicht auf Interaktion geschuldet. Das Stück besteht hauptsächlich aus Monolog und Belehrung. Ausser dem Gespräch zwischen Antigone und Ismene, das zitatweise ins Spiel geführt wird, gibt es nur noch die kurze Begegnung von Solimans Tochter mit dem Direktor des kaiserlichen Naturalienkabinetts. Während Sophokles die Auseinandersetzung zur Tragödie ausbaute, wird die neue, erfundene Szene durch einen anatomischen Kommentar gleich wieder entschärft.

 

Dafür kommt das patriarchalische Herrschaftsgefüge des Ancien Regime und der sogenannte "Rassismus der Aufklärung" in den Fokus. Das Schauspiel ersetzt so das fehlende dramaturgische Handwerk durch "Haltung" und "Einstellung". Doch im Gegensatz zu Religion, Politik und Lehre verlangt die Bühne weder Deklamation, Demonstration noch Deklaration, sondern Klarheit, Spannung, Auseinandersetzung. Wo die fehlen, wird die Sache fad. Das ist elementar, mein lieber Watson.

 

Überlappung der Zeiten. 

Anatonmie versus Pietät. 

Das Ganze im Hörsaal. 

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