Bruckners siebte. Anton Bruckner.

Sinfonie.

Pablo Heras-Casado, Anima Eterna. Festival international de Musique Besançon.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 16. September 2022.

 

> "Nimm das gute Geschirr!", pflegte die Grossmutter zu rufen, wenn sich die Schwiegertochter daran machte, den Tisch zu decken. "Es ist sonst schade um das schöne Essen!" Nun aber hat Besançon kein gutes Geschirr. Nur einen "Kursaal" aus dem Jahr 1893 – also eine angemalte Bonbonschachtel, in der sich die Bourgeoise und das Offizierskorps am Fin de siècle zu Zirkusvorstellungen, Bällen und Vereinsanlässen traf. Wenn Musik erklang, dann mit Klavier und ein paar Instrumenten. Einmal im Jahr gab es wohl auch das Konzert des Liebhaber­orchesters mit seinen zwanzig Mitgliedern. Doch nun nahm am "75e Festival international de musique de Besançon" Anton Bruckner mit seiner riesigen siebten Sinfonie den Raum ein. Und weil er sich nicht ausbreiten konnte, entstand nicht Musik, sondern Mus. <

 

Es gab ein halbes Dutzend schöne Stellen. Die erste grad am Anfang: Im leisen Tremolo geteilter Streicher erhob sich eine elegische Bläserstimme. Die historischen Instrumente von Anima Eterna riefen eine altertümliche Wärme und Sanftheit hervor, die mit ihrer gemüthaften Zartheit ans Herz rührte. Und so noch ein paarmal; wenn die Komposition leise wurde. Doch wenn Bruckner alle Register zog und Fortissimo verlangte, torpedierte der Kursaal den Ausbruch und verwandelte das Orchestertutti zu indistinktem, schmerzhaftem Lärm.

 

Auch bei mittlerer Tonstärke machte der Saal nicht mit: Die Klänge verloren sich nicht in der Stille, sondern brachen einfach ab. Sie dämmerten auch nicht aus der Schwärze empor, sondern waren plötzlich da. Also nichts von romantischer Ahnung und unaussprechlichem Geheimnis. Stattdessen trockene Faktizität und seelenlose Mechanik.

 

Immer noch war die Homogenität der Register beeindruckend. Pablo Heras-Casado, der als Dirigent in zwei Jahren sein Bayreuth-Debüt gibt, setzte auf Klarheit statt Sentimen­talität, Spannungsbögen statt Geraune. In einem Konzertsaal mit guter Akustik wäre daraus eine klassische Interpretation entstanden: Mass vereint mit Schönheit. In Besançon aber bekam das Konzert den Charakter des resignierten Abspulens: "Geh, da kannst eh nix machen."

 

Der informierte Hörer war fortlaufend beschäftigt, den Klang in die Akustik der Elbphilharmonie zu übersetzen, wo Anima Eterna mit dem selben Programm gerade herkam. Das nicht viel schlechtere Auditorium von Dijon, an dem die Musiker noch bis vor zwei Jahren "orchestra in residence" waren, hätte sich ebenfalls für Bruckner geeignet. Aber Besançon?!

 

"Wir hatten noch nie ein so grosses Orchester im Kursaal", erklärte zu Beginn des Konzerts der Präsident des Festivals mit Stolz. Aber oha. Die Premiere ging daneben. Bruckners siebte war keine Sinfonie mehr, sondern ein Schuss in den Ofen.

 

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