Der Bockerer. Ulrich Becher und Peter Preses.
Schauspiel.
Stephan Müller. Theater in der Josefstadt, Wien.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 10. März 2022.
> "Der Bockerer" kann kaum auf seinen Beinen stehen. Er ist schwach. Doch nun kommt dem Stück der Krieg in der Ukraine zugut. Das unerträgliche Grauen füllt die Stellen, wo die Konstruktion durchhängt. Und wenn am Schluss davor gewarnt wird, dass wieder ein Verrückter kommen könne, der die Welt in Brand setzt, führt die Koinzidenz mit der Aktualität zum Schluss: "Es ist doch gut, habe ich die Vorstellung besucht! Sie hat mir vor Augen geführt, wie sich der Gang der Geschichte auf das Schicksal der kleinen Leute auswirkt." <
Als sich Hans Hollmann in Basel daran machte, "Tristan und Isolde" zu inszenieren, hatte er Mühe mit dem zweiten Akt: "Da geschieht nichts. Was kann ich machen, um trotzdem die Spannung zu halten?" Er kam auf die Lösung der grossen Gebärde: "Schauen Sie auf die Bilder aus der Geschichte! Immer, wenn die Spannung steigt, wird es pathetisch. Die Menschen sprechen in melodischen Bögen und gestikulieren wie in der Oper. Das mache ich mir für den zweiten Akt zunutze."
Zum selben Rezept greift nun Stephan Müller für seine Inszenierung des "Bockerers" in der Josefstadt. Alles ist eine Spur zu gross. Aber die Zuschauer wissen aus eigener Fernseherfahrung: "Wenn es soweit ist, sieht es so aus!" Und so, wie es zugeht, wenn die Emmentaler Liebhaberbühne Gotthelf spielt, sind jetzt an der Donau die Rollen auf den Typ hin angelegt. Das Stück lässt auch keine andere Wahl. Die die Nazi-Funktionäre sprechen Hochdeutsch, die Einheimischen das schöne, klangreiche Wienerisch. Darin erkennt das Publikum sich und seine Voreltern auf den Brettern wieder.
Seit Herbert Föttinger das Theaterhaus übernommen hat, arbeitet er von Spielzeit zu Spielzeit die Facetten des Austrofaschismus auf. Das ist oft schmerzhaft. Beim "Bockerer" manchmal aber auch gemütlich. Der gute Wiener, der mit Schwejk-Attitüden "unbelastet" durch die Geschichte kommt (so der Terminus bei der Entnazifizierung), ist, streng dramaturgisch betrachtet, eine Spur zu harmlos gezeichnet, auch wenn sich das Schicksal der Opfer an ihm spiegelt. Doch angesichts der Weltlage wirkt die Botschaft, dass der anständige Mensch nicht umkommt, auch wieder als Trost. So hilft der Krieg in der Ukraine dem schwachen Stück in jeder Hinsicht.
Die grosse Gebärde ...
... der Nazis ...
... auf der Bühne.