Ein Bericht für eine Akademie. Franz Kafka.
Monolog.
Roger Vontobel. Bühnen Bern.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 27. September 2021.
> Am spannendsten an dieser aussergewöhnlichen Aufführung ist ihr Geheimnis: Wie schaffen sie es (Schauspieler, Regisseur), den "Bericht für eine Akademie" so lebendig, so packend, so anrührend zu machen? Die Schwierigkeit der Antwort wird dadurch erhöht, dass die Inszenierung mit ganz feinem Faden genäht ist. Die Hand, die die Nadel geführt hat, ist fast unsichtbar. Sie macht einfach nur den Text von Kafka glaubhaft und bringt uns den Affen, der Menschenart angenommen hat, dergestalt nahe, dass wir ihn als schmerzgezeichneten Bruder erkennen. Deshalb geht uns auch das, was er vorträgt, ans Herz. Eine seltene, bewegende Erfahrung. Wenn sie sich einstellt, erreicht das Theater den Ausnahmemoment. <
Drüben in Vidmar 1 läuft Handkes "Kaspar"; und in Vidmar 2 "Ein Bericht für eine Akademie". Beide Aufführungen erforschen die Natur des Sprechens. Handke zeigt den aufgezwungenen Spracherwerb, Kafka den notgedrungenen. Beide weisen auf Schattenseiten, welche die Idealisten (namentlich Herder in seiner "Abhandlung über den Ursprung der Sprache") nicht sehen konnten.
Bei Kafka kommt ein Affe zur Sprache. Er ist gefangen "in einem Zwischendeck des Hagenbeckschen Dampfers" und sucht einen Weg, sich zu retten. Sein Mittel: Aufhören, ein Affe zu sein, erklärt Margret Walter-Schneider in ihrer grossen Monographie: "Denken als Verdacht. Untersuchungen zum Problem der Wahrnehmung im Werk Franz Kafkas". Und sie führt aus:
Für den Affen beginnt nun ein Leben, das im Nachahmen besteht: er ahmt das Kleidertragen, das Schnapstrinken und schliesslich eben das Sprechen nach. Weil er nachahmen will, deshalb spricht er. "Verzicht auf jeden Eigensinn war das oberste Gebot, das ich mir auferlegt hatte." [...]
Der Affe lernt sprechen dadurch, dass er in einen Austausch einwilligt: er gibt sein Bewusstsein von Eigenem, seine Erinnerung ans Eigene hin und nimmt dafür fremde Erinnerung, Erinnerung an Fremdes, nimmt allgemeines Wissen ein. Sprache gewinnt er in dem Masse, als er die Erinnerung ans Eigene verliert. Sein erstes Wort spricht er aus einem Moment des Selbstverlustes: "Was für ein Sieg dann allerdings, als ich eines Abends vor grossem Zuschauerkreis eine vor meinem Käfig versehentlich stehengelassene Schnapsflasche ergriff, und unter steigender Aufmerksamkeit der Gesellschaft sie schulgerecht entkorkte, an den Mund setzte und ohne Zögern, ohne Mundverziehen, als Trinker vom Fach, mit rundgewälzten Augen, schwappender Kehle, wirklich und wahrhaftig leertrank; nicht mehr als Verzweifelter, sondern als Künstler die Flasche hinwarf; zwar vergass den Bauch zu streicheln; dafür aber, weil ich nicht anders konnte, weil es mich drängte, weil mir die Sinne rauschten, kurz und gut 'Hallo!' ausrief, in Menschenlaut ausbrach, mit diesem Ruf in die Menschengemeinschaft sprang und ihr Echo: 'Hört nur, er spricht!' wie einen Kuss auf meinem ganzen schweisstriefenden Körper fühlte." – Selbstverlust ermöglicht des Affen erstes Wort "Hallo!". [...]
Die hohen Herren von der Akademie haben den Affen gebeten, für sie einen Bericht über sein äffisches Vorleben zu schreiben. Der Affe kann die Bitte der hohen Herren nicht erfüllen. Zur Sprache ist der Affe ja dadurch gekommen, dass er die Erinnerung ans Eigene eingetauscht hat gegen fremdes Gedächtnis. In "Ein Bericht für eine Akademie" wird erklärt, weshalb das, was gesagt werden sollte, nicht gesagt werden kann. Nur weil der Affe nicht von seinem äffischen Vorleben, nur weil er nicht vom Eigenen, sondern vom Angenommenen spricht, nur deshalb gelingt das Sprechen, nur deshalb kommt ein Bericht in der Sprache zustande, die die hohen Herren von der Akademie verstehen.
Das Drama vom Affen, der Menschenart annimmt, indem er sich aufgibt, macht Roger Vontobels ungemein sensible Inszenierung dadurch fasslich, dass sie den Linien der Erzählung genau nachspürt und das, was hinter den Worten steht, szenisch ausformt. So erscheinen hier nun die Laute und Gesten aus dem Affenrepertoire wie Zitate aus der fremdgewordenen, untergegangenen Welt. Und gleichzeitig evozieren sie die Fahrt aus dem afrikanischen Urwald über das deutsche Frachtschiff bis in den Festsaal der Akademie.
Es genügen wenige Andeutungen, damit sich der Film im Inneren des Zuschauers entrollt. Kilian Land spricht ein "Schschsch" ins Mikrofon, und durch die pulsierende Wiedergabe in der Echokammer (schschsch – schschsch – schschsch) spannt sich das Bild eines wellenbewegten Ozeans auf. So erweitert die Darstellung das Gezeigte und Gesprochene um die Dimension des Gefühlten und Erahnten.
Das gelingt, weil die Aufführung zwei Voraussetzungen erfüllt: Erstens Musikalität. Das heisst: Sinn für Rhythmus und Proportion. Das stupende "Genau dann" und "Genau so", das den Zeitfluss punktiert, hat zur Folge, dass jeder Moment gefüllt ist und der Eindruck aussergewöhnlicher Stringenz aufkommt, bis sich der Bogen zum Ende neigt. – Zweitens Glaubwürdigkeit. Das heisst: unbedingte Richtigkeit des Spiels. Die Qualität ergibt sich, weil Kilian Land so tief in die Rolle drin ist, dass die knapp einstündige Aufführung die Aura einer Begegnung annimmt: Es geschieht da etwas zwischen dir und mir. Und das ist prägend. Das ist unvergesslich. Es ist gross. Vor einer solchen Vorstellung kann man sich nur verneigen und danke sagen.
Als Trinker vom Fach ...
... aufhören, ein Affe zu sein und ...
... in die Menschengemein-schaft springen.