Ein bisschen von allem. © Yoshiko Kusano.

 

 

Tuntschi. Eine Häutung, Lydia Haider u.a.

Theatraler Vorgang.

Bühnen Bern.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 11. September 2021.

 

> "Hybrid" bezeichnet ein Genre, das ein bisschen von allem bringt: narrative und reflexive Momente, Tanz- und Puppentheater, Gesang, Chor, Monolog, Blasphemie, Koprolalie, Blut, Sex, Unflat. Doch trotz der diversen Zutaten bleibt die Uraufführung in den Berner Vidmarhallen fad, fad, fad. Die Sprache, sofern verständlich, oszilliert zwischen expressionistischer Hyperbolik und postdadaistischem Gelaber und bringt alles ausser Dialog, Inhalt, Sinn. Am Schluss bleibt nur noch die Frage im Raum, warum es die Produktion bis zur Premiere brachte. Da liegt das eigentliche Rätsel. <

 

Vielleicht liefert eine Episode aus dem Schatzkästlein der Erinnerung die Antwort. In den Jahren der Ära Gall (1995-2004), in denen ich in der Pariser Nationaloper zuhause war, bat mich Christian Schirm, der Verantwortliche für Garnier, um einen Probenbesuch. Erarbeitet wurde eine angesehene, aber selten gespielte Oper. Die Sänger standen im Kostüm, das Bühnenbild war aufgebaut, das Orchester im Graben. Nach wenigen Takten brach der Dirigent ab: "Es sind Wellen! Nochmals!" Nun klang die Ouvertüre viel belebter. So rasch war das Auffassungsvermögen der Musiker.

 

Als der Vorhang aufging, weiteten sich meine Augen. Die Frage war: "Wie kann man nur?!" Doch dann sagte ich mir: "Gemach. Vielleicht zeigt sich später ein Sinn. Gib dem Team eine Chance." Als der erste Akt zuende war, beugte sich Christian Schirm zu mir herüber: "Und, was sagen Sie?" "Es ist schrecklich. Wie kommt der Mann dazu, das so zu inszenieren?" "Er gilt als hochbegabter Nachwuchsregissseur." "Aber Sie sehen ja, was er bietet!" "Natürlich. Das gibt eine Katastrophe." "Sie müssen die Premiere absagen." "Ich bin Ihrer Meinung. Aber sagen Sie's dem Chef. Ich kann's nicht."

 

Am nächsten Tag war ich in Hugues Galls Riesenbüro über dem Dach der Bastille. "Ich habe gehört, dass Sie gestern die Probe in Garnier besucht haben. Was sagen Sie dazu?" "Eine Katastrophe." "Sie haben recht. Ich finde das auch. Doch ich kann die Oper nicht absetzen. Die Vorstellungen sind ausabonniert." "Sie nehmen also das Risiko eines Desasters auf sich?" "Mal pokern. Vielleicht wird's nicht so schlimm. Nach meiner Erfahrung kann eine Produktion noch so schlecht sein, es finden sich immer ein paar Kritiker, die sie gut finden." "Hoffen wir, dass Sie recht haben." "Ja, da hilft nur noch beten."

 

Puppentheater. 

Monolog. 

Chor. 

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