Ein faszinierendes Cross-over. © Horn/Burgtheater.

 

 

 

 

Die Traumdeutung von Sigmund Freud. Dead Centre.

Schauspiel.          

Ben Kidd und Bush Moukarzel, Nina Wetzel, Sophie Lux. Burgtheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 25. Februar 2020.

 

 

Heidi heisst die Patientin. Folgsam legt sie sich auf die Couch. Sie verschränkt die Arme. Dann beginnt sie, etwas stockend, den Traum von einem Kinderschubkarren zu erzählen, während die Finger ihrer rechten Hand an einem Ring nesteln. Hinter dem Kopfende des legendären psychoanalytischen Therapiemöbels sitzt Dr. med. Sigmund Freud und saugt an seiner Zigarre.

 

Am Abend des 21. Februar wird dieses Setting am Burgtheater nachgestellt. Um Freud zu verkörpern, bindet sich die Schauspielerin Alexandra Henkel einen Bart um. Heidi dagegen ist eine echte Wienerin aus dem Publikum. Sie hat aufge­streckt, als gefragt wurde, ob jemand bereit sei, auf der Bühne einen Traum nachzuerzählen.

 

Heidi weiss nicht, was sie erwartet. Aber gefügig macht sie, was ihr die bärtigen Figuren vorschreiben; und damit bleibt sie bis zum Schluss ins Spiel verwickelt, als jüngstes Opfer der Psychoanalyse. An ihrem Anfang steht der kleine Hans, der in Wirklichkeit Dr. Herbert Graf hiess und als Erwachsener die Genfer Oper leitete. – Die Patienten werden bei der tiefen­psychologischen Therapiemethode in ein System eingesogen, aus dem sie, wie Heidi, nur spät wieder herauskommen.

 

Mit den wirren Schlaufen von Wirklichkeit, Traum und Psychoanalyse spielt nun aber "lustvoll", wie die Neurotiker sagen, das englisch-irische Autoren- und Regieduo von Ben Kidd und Bush Moukarzel, die sich den Namen Dead Center gegeben haben. In einem fulminanten Cross-over verbinden sie Elemente aus Wissenschaftsgeschichte (Erscheinung der "Traumdeutung" im Jahr 1899) und Politik (antisemitische Hetzartikel des damaligen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger) mit Freuds Privatleben (Martha zu Sigmund: "Deine Verhütungsmethode funktioniert nicht. Ich habe schon sechs Kinder. Jetzt will ich keinen Sex mehr.").

 

Das alles ereignet sich am Abend des 21. Februar im Burgtheater – in der Wirklichkeit von Heidi, den Zuschauern und den Schauspielern. Da fährt der Ordinationsraum der Berggasse 19 mit den kokainsüchtigen Figuren der Mittwochsgesellschaft auf (Bühne und Kostüme: Nina Wetzel). Heidi aber muss Freuds Bart umlegen und mitspielen. Immer wieder hebt dabei das Ganze ab in bemerkenswerte Videosequenzen (Sophie Lux).

 

Eine letzte Verwandlung führt in das Zimmer eines kleinen Mädchens namens Heidi. Es sieht sich im Traum als Erwachsene, die einen Schubkarren durch die Gasse stösst, und wir erkennen in der Erwachsenen unsere Heidi aus Wien. "Aber du wirkst müde", sagt das Kind. "Leg dich ins Bett. Deck dich gut zu." Und da verschwindet die grosse Heidi auf Nimmerwiedersehen. Das Kind aber ruft: "Welch ein Albtraum!" Und alle im Zuschauerraum fragen sich, wie immer bei Kunst: Was soll das Ganze?

 

Am 16. Januar kam "Die Traumdeutung von Sigmund Freud" in Wien erstmals auf die Bühne. So gut die Produktion ist, sie hat einen Haken. Die Jury hatte an der Premiere die Werke fürs Theatertreffen 2020 schon bestimmt. Jetzt müssen die Berliner nach Wien fahren, wenn sie eine bemerkenswerte Aufführung sehen wollen.

Spiel und Wirklichkeit ... 

... fliessen ineinander. 

 
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