Hanns Dieter Hüsch (Porträt).

Der Bund, 18. Dezember 1982.

 

 

Begegnung mit...

Hanns Dieter Hüsch: "Ein gläubiger Christ"

Der deutsche Kabarettist über Leben und Tod, Zweifel und Geborgenheit

 

 

 

I.

 

"Die Handlungen eines Menschen, die Beschaffenheit seines Hauswesens sind gemeiniglich Fortsätze seiner inneren Beschaffenheit, seines Gehirns usw."

Georg Christoph Lichtenberg

 

Wenn der älteste und bekannteste Kabarettist deutscher Zunge, Hanns Dieter Hüsch, in Bern absteigt, dann nimmt er immer wieder das gleiche Zimmer: die Nummer 227 im "Schweizerhof". Es ist ein Einbettzimmer mit Bad und WC, Radio, Zimmerbar und Telefon.

 

Wenn Hanns Dieter Hüsch erwähnt, wo er in Bern wohnt, wird er immer wieder gefragt: "Wie können Sie das mit Ihrer Gesinnung vereinbaren?"

 

"Gesinnung", "vereinbaren" – grosse Worte für einen kleinen Sachverhalt. Hüsch jedenfalls mag die Frage nach dem "Vereinbaren" nicht: "Kein Schwein kümmert sich darum, wer sonst noch im 'Schweizerhof' übernachtet. Aber ausgerechnet ich soll meinen allerletzten Idealismus aufbringen und mich womöglich in einer Pension Garni am Stadtrand einquartieren."

 

Das findet Hüsch aus verschiedenen Gründen unzumutbar. Erstens: "Was bringt's?" Ihm würde es den Aufenthalt erschweren, klar. Und die Welt, die Menschheit, hätte nichts von seinem Opfer. Eben.

 

Der zweite Grund: "Der Künstler ist ein Mensch, der eher unbeholfen mit den Dingen des praktischen Lebens umgeht. Daher hat Thomas Mann gefordert, man müsse dem Künstler, was die Kleinigkeiten des Alltags angeht, möglichst viele Annehmlichkeiten einräumen. Und das meine ich auch."

 

Also, wie ist es nun? Gehört der "Schweizerhof" für Hüsch zu den "Fortsätzen seiner innern Beschaffenheit"? Ist er ein prunksüchtiger Mensch? Der Kabarettist schüttelt den Kopf. "Nein, das ist wirklich der einzige Luxus, den ich mir leiste: Erste Klasse im Zug und ein gutes, komfortables Hotel in der Nähe des Auftrittsorts."

 

Beides sind Annehmlichkeiten, die dem Künstler Hüsch die Berufsausübung erleichtern. Aber für den Menschen Hüsch sind sie nicht typisch: "Ich habe sonst in meinem Leben keinen Luxus", versichert er. "In Mainz bewohne ich ein kleines Reihenhaus mit meiner Frau und der Tochter. Wir haben ein kleines Gärtchen, sechs Katzen und einen Hund. Es gibt da keine grossen Festivitäten. Wir leben still, unauffällig und zurückgezogen." So ist es um die "Beschaffenheit seines Hauswesens" bestellt.

 

 

II.

 

"Lerne deinen Körper kennen und was du von deiner Seele wissen kannst, gewöhne dich zur Arbeit und lerne deine Bequemlichkeit überwinden, gewöhne deinen Verstand zum Zweifel und dein Herz zur Verträglichkeit."

Lichtenberg

 

Von sich selber sagt Hanns Dieter Hüsch: "Im Grunde genommen bin ich ein freundlicher, geduldiger Mensch. Und es macht mir Spass, so zu sein." Das sagt er, obwohl er weiss, dass freundliche, geduldige Menschen heutzutage nicht mehr in bestem Kredit stehen. Psychologen würden bei seinem Geständnis vermuten, er leide an einer Aggressionshemmung. Er sei ein Streitverminderer um des lieben Friedens willen. "Da ist was dran", gibt Hüsch zu.

 

Schon als Kind war er lieb und scheu. Er drängte sich nie vor, und so konnten alle mit ihm auskommen. Erst weit im Erwachsenenalter bemerkte er, dass er mit seinem Verhalten die Rechte, die ihm zustanden, vernachlässigte: "Wenn sich noch vor zehn Jahren beim Taxistand jemand vordrängte, so liess ich das geschehen und sagte mir: Das ist halt dein Los. Gleichzeitig machte mich diese Rücksichtslosigkeit aber auch depressiv. Warum wird deine Gutmütigkeit ausgenützt, fragte ich mich. Und die Maschinerie der Gedanken über die menschliche Gesellschaft begann anzulaufen." Ein Fall von Aggressionshemmung, würden die Psychologen sagen. "Da ist was dran", nickt Hüsch. "Aber es ist nicht alles." Und er hat recht.

 

Man kann den Wert der Freundlichkeit nicht mit einer Diagnose ausser Kurs setzen; man darf das nicht. Es ist wichtig, dass man – wie Hüsch – den Umgang mit den Menschen offen lässt, ganz frei, ohne irgendwelche Vorurteile. Politisch ausgedrückt: Hüsch fragt keinen, woher er kommt, was er für ein Parteibuch hat. Sondern er behandelt jeden mit dem gleichen Respekt.

 

Humanität? "Nichts ist schöner, als mit Menschen zu sprechen. Ein freundliches Gespräch", behauptet Hüsch. Und wenn der andere Mensch ein Gegner ist? "So fasziniert mich die Höflichkeit trotzdem, auch wenn sie in einer solchen Situation jesuitisch erscheinen mag: Ich gebe dem andern durch eine grosszügige Geste die Möglichkeit, ein Gespräch zu eröffnen. Ich trete ihm nicht mit dem Schwert entgegen, sondern sage: Willkommen! Bevor wir aufeinander losgehen, wollen wir versuchen, uns mit Form zu begegnen." – Gewöhne dein Herz zur Verträglichkeit...

 

 

III.

 

"Die Gebrechlichen haben oft Fertigkeiten, deren ein ordentlich gebauter Mensch, wo nicht unfähig, doch sie zu erlernen nicht entschlossen genug ist."

Lichtenberg

 

Als Hanns Dieter Hüsch am 6. Mai 1925 in Moers/Niederrhein zur Welt kam, mussten die Ärzte an ihm einen Geburtsfehler feststellen: Die Füsse waren um 180 Grad verdreht. Es gab nur eine Behandlungsmöglichkeit: einmal pro Jahr die Füsse des Kindes in der Narkose leicht zu biegen und die neue Stellung durch einen Gips 6 Wochen lang festzuhalten. So musste Hanns Dieter Hüsch bis vierzehn jedes Jahr ins Spital. Am Anfang ohne zu begreifen, was vorging. Ein gekachelter Raum. Vermummte Gestalten. Eine Äthermaske. Dann Finsternis, aus.

 

"Dieses Früherlebnis", denkt Hüsch, "muss mein ganzes Leben in die Hand genommen haben. Da kam durch die Operation etwas auf mich zu, bei dem ich spürte: Hier bist du verloren. Es ist niemand mehr da, der dir hilft und bei dir ist. So bildete sich bei mir eine gewisse Art von Autismus und Hospitalismus heraus. Ich habe sehr früh eine eigene Welt in mir ausgedacht."

 

Weil er körperlich nicht mittun konnte, war er von vornherein zu einem gewissen Aussenseitertum verurteilt. Und dadurch wurde das stille Kind dazu gebracht, Fähigkeiten auszubilden, die "ein ordentlich gebauter Mensch" nicht unbedingt anstrebt. Es nahm sich vor, die Aufmerksamkeit und Achtung der andern zu gewinnen, indem es etwas machte, "das nur wenige können. So falle ich auf."

 

Heute ist Hanns Dieter Hüsch stolz, "ja auch eitel" darauf, dass er durch seine Kleinkunst zu sich selbst gefunden hat: "Es ist mir, allerdings mit totalem Einsatz, gelungen, aus dem Nichts, nur mit der Phantasie, etwas aufzubauen, womit ich mir einen Namen gemacht habe, und zwar den meinen."

 

 

IV.

 

"Öfters allein zu sein und über sich selbst zu denken und seine Welt aus sich zu machen, kann uns grosses Vergnügen gewähren, aber wir arbeiten auf diese Art unvermerkt an einer Philosophie, nach welcher der Selbstmord billig und erlaubt ist; es ist daher gut, sich durch ein Mädchen oder einen Freund wieder an die Welt anzuhaken, um nicht ganz abzufallen."

Lichtenberg

 

"Täglich denke ich über das Leben nach", sagt Hanns Dieter Hüsch. "Ich denke nach über die Vergänglichkeit des Menschen. Für mich ist das ein grosses Thema. Das Aufblühen, das Wachsen, das Faltenbekommen, das Kleinerwerden und das Vergehen. Oft frage ich mich, ob sich das Ganze lohnt. Wenn ich vor meinem Tod das Fazit ziehen müsste... ich glaube, ich käme zu keinem grossen Ergebnis. Aber das würde ich für mich behalten und denen, die nach mir weiterleben müssten, würde ich ganz bürgerliche, solide Ratschläge geben. Versuch's!, würde ich sagen. Schau, dass du ein Dach über dem Kopf hast und immer genug zu essen. Lass dich nicht kaufen...

 

Es gibt Leute, die sagen, sie hätten keine Angst vor dem Sterben. Aber für mich ist der Tod schon ein Thema. Ja, ich habe manchmal das Gefühl, dass alles, was wir machen, nur eine Verdrängungsmaschinerie ist, dem Tod gegenüber. Ob wir jetzt Kabarett machen oder Politik oder Geschäfte...

 

Natürlich habe ich auch schon mit Freitodgedanken gespielt. Aber ich würde nie Hand an mich legen, aus Feigheit. Darum habe ich auch so grossen Respekt vor denen, die es konnten, obwohl sie äusserlich keinen Anlass dazu hatten. Dahinter steht für mich eine ganz grosse, freie Entscheidung. Aber ich selber könnte es nicht. Ich habe noch ein paar Verpflichtungen. Es gibt Menschen, die mich brauchen, die mich sehr nötig haben. Es wäre schlimm, wenn ich vor ihnen gehen und sie zurücklassen müsste. Davor habe ich wirklich Angst. Mehr als vor dem Tod."

 

 

V.

 

"Warum warnt die eiternde Lunge so wenig und das Nagelgeschwür so heftig?"

Lichtenberg

 

Wenn Hüsch auf das Leben blickt, dann sieht er ein unentwirrbares Gemisch von "Komik und Tragik, Krankheit und Gesundheit, Kommen und Gehen, Verkommen und Vergehen." Und dieses "Konzert der Widersprüche" enthält ein Rätsel, das nicht zu lösen ist. Nämlich: Wie passt das alles zusammen? Was ist das Ganze?

 

Dieses Rätsel hat seit jeher die Menschen herausgefordert. Die Philosophen. Die Künstler. Und Hanns Dieter Hüsch, den Kabarettisten. Er versucht mit Kleinkunst ("dem kleinen Raum, dem kleinen Publikum"), dem Chaos des Werdens und Vergehens eine Form gegenüberzustellen. Die künstlerische Form mag zwar ihrerseits rätselhaft sein und von den Zuschauern missdeutet werden. Aber Hanns Dieter Hüsch sagt sich heute: "Lass sie doch lachen! Auch wenn's an der falschen Stelle ist."

 

Das war nicht immer so. "In den ersten Jahren", erinnert sich Hüsch, "fragte ich mich ständig: Wie ist der Abend gelaufen? Ist es angekommen? Warum haben die Leute an dieser Stelle gelacht und an jener nicht?" Heute nimmt er alles viel gelassener. Er sagt sich: "Das war ein Abend unter tausenden." Er denkt: "Keiner lacht ohne Grund." Und er weiss: "Ich kann nicht jedem mit dem Rechenschieber in die Küche nachrennen und fragen: Warum hast du gelacht? Was hast du verstanden?"

 

So begegnet Hüsch heute seinem Publikum mit Wohlwollen und Grosszügigkeit. "Ich möchte allen irgendwie sagen: Ihr seid meine Freunde. Ich kenne eure Leben. Ich weiss schon, wie es bei euch aussieht, wie ihr von der Arbeit in die Küche fummelt und von der Küche zum Fernseher... Wir haben alle das gleiche Los. Darum, Freunde, nehmt es leichter! Nehmt es grösser, nehmt es weiter! Seid nicht so streng miteinander! Wer von euch weiss schon, in welchem Lungenflügel sich die kleine Krankheit eingenistet hat, die ihn zu Fall bringen wird?"

 

 

VI.

 

"Dinge zu bezweifeln, die ganz ohne Untersuchung jetzt geglaubt werden, das ist die Hauptsache überall."

Lichtenberg

 

Man kann sich fragen, was das Kabarett bewirkt. Ob es nicht, wie Franz Hohler denkt, den Stellenwert einer Autobahnbepflanzung habe ("es garniert eine Welt, die stinkt")? Oder anders gefragt: Wenn einem schon die Klarsicht eines Hüsch gegeben ist, müsste der dann nicht auch versuchen, die Welt durch Taten zu verändern? Herr Hüsch, warum sind sie nicht Politiker geworden? "Weil ich es nicht kann." Hüschs Antwort ist entwaffnend. "Als Politiker müsste ich mit Menschen umgehen, denen ich nicht gewachsen bin."

 

Er ist eben ein Künstler. "Manchmal", verrät er, "habe ich das Gefühl: Da ist die Weltkugel. Und ich, ich schwebe fünfzig Meter darüber, sehe, was alles da ist, sage: aha! Und staune." Es ist nicht jene Welt, die er haben möchte. "Und doch muss ich in ihr leben, in ihr zu Ende leben."

 

Weil Hüsch schwebt, und sieht, und staunt, erkennt er auch, wie manches "komisch" ist auf diesem alten Erdenrund. Wie fragwürdig sich die menschlichen Einrichtungen darauf ausnehmen. Daher sind ihm auch alle verdächtig, die "ein Reglement haben und meinen, nach diesem Reglement andere Menschen traktieren oder doktrinieren zu müssen. Zu diesen allen sage ich nein." Das ist der Sinn seines Kabaretts. Den Zweifel am Gegebenen zu verbreiten.

 

 

VII.

 

"Überhaupt erkennt unser Herz einen Gott; und dieses nun der Vernunft fasslich zu machen, ist freilich schwer, wo nicht gar unmöglich."

Lichtenberg

 

Zweifel, Zweifel: "Die Spezialität meines Kabaretts", erklärt Hüsch, "liegt darin, dass ich oft Dinge parodiere, die alle gut finden, selbst ich. Dann schütteln alle den Kopf und sagen: Was der Hüsch jetzt wieder redet! Was hat er bloss gegen diese Einrichtung, die ist doch vernünftig, oder?"

 

Wenn Hüsch etwas in Frage stellt, das alle gut, ja nötig finden, dann ist das für ihn der Gipfel der Schalkhaftigkeit. Er träumt von einem utopischen Kabarett, wo ein Satz den andern aufhöbe, ein Argument das andere ausstäche, wo die Leute hin und her gerissen würden. Und wenn das Publikum alle Sicherheit verloren hätte, würde der Kabarettist aufstehen und sagen: "Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende angelangt."

 

Am Ende stände also: "das absolute Rätsel", die Absurdität par excellence, der man nur mit "abgrundtiefer Heiterkeit" begegnen kann... Bloss – hält ein Mensch es aus, vor dem Nichts zu stehen? Muss er nicht eines Tages kapitulieren oder... in den Glauben treten?

 

"Ich glaube", antwortet Hanns Dieter Hüsch, "an Jesus Christus. An sein Leben und seinen Tod. Ich glaube an den Satz: 'Liebe deine Feinde!' Und ich glaube an eine Welt, die nicht von dieser Welt ist. Ich glaube an eine Auflösung im Sinne von Erlösung... In diesen Gedanken spüre ich die einzige Form von Geborgenheit. Das macht mich fröhlich und lässt mich sogar zum Kabarettisten werden. Denn nur aus dieser Geborgenheit heraus entdecke ich unsere Widersprüche und Vorurteile, unsere Enge und unseren Hass."

 

Das antwortet Hanns Dieter Hüsch, wenn man ihn fragt, wie er es gegenüber unserer absurden Welt aushält.

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